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Bindungsangst: Warum es manchmal schwerfällt Liebe zuzulassen

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210305 Bindungsangst Warum es manchmal schwerfällt Liebe zuzulassen

Irgendwann sind die meisten an einem Punkt im Leben, wo sie sich fragen: Wo ist er, der Mensch zum Bleiben – jetzt, wo wir bereit wären, uns zu binden? Aber eben nicht jeder. Über Freiheiten, Bindungsangst und Halbbeziehungen.

Inhaltsverzeichnis

Wenn wir Frauen jung sind, starten wir das große Abenteuer Beziehung. Wir haben Freiheiten und Dating-Apps, Kontakte und Katastrophen, Lebensabschnittspartner und Liebeskummer. Wir experimentieren und testen, wir sind stark und unabhängig. Wir bekommen keine Kinder mit Anfang 20, aber dafür ein Problem mit 30. Plötzlich merken wir, dass das Ticken unserer biologischen Uhr und der Laufschritt unseres Lebens nicht synchron gehen.

Committen oder nicht? Prioritäten im Leben

Irgendwie sind viele von uns trotz oder gerade wegen all unserer Freiheiten immer noch orientierungslos auf der Suche. Wir nennen es die Suche nach der großen Liebe, aber oft ist es die Suche nach der bequemen Halbbeziehung geworden. Das heißt, einer Beziehung, die sich uns und unserem individuellen Leben anpasst. Nichts Halbes und nichts Ganzes.

Job, Karriere, Ideen, Wünsche, Ziele, das volle, pralle Leben genießen – es gibt vieles, was uns wichtig ist. Nicht nur der eine Partner an unserer Seite. Und nicht jeder, der Sorge vor zu viel Nähe, zu viel Kompromissen und Verbindlichkeit hat, ist direkt von Bindungsangst betroffen.

Meist ist es eine Frage der aktuellen Lebensumstände, wie wichtig uns eine feste Bindung ist. Und nicht selten wird der Wunsch danach mit der Zeit wichtiger. Nicht nur wegen Kinderwunsch und biologischer Uhr, sondern auch einfach, weil viele interessante und passende Lebenspartner nach und nach vom Markt verschwinden, feste Bindungen eingehen und womöglich eine Familie gründen.

Da kommt mitunter Torschlusspanik auf und man fragt sich: Wo ist er, der Partner oder die Partnerin fürs Leben ohne Bindungsangst, jetzt, wo wir bereit dafür wären? Wo wir uns endlich committen und den einen Menschen an unserer Seite haben wollen, mit dem wir uns mehr vorstellen können. Zusammenleben, heiraten, Familie gründen, Rest des Lebens – das volle Programm eben.

Ein bindungsfähiger, passender Partner ist dann nicht immer direkt zur Stelle. Und nicht selten beginnt hier die große Suche nach dem einen oder der einen Person, die matcht. Und nicht selten ist diese Suche ein langer, steiniger Weg mit vielen gescheiterten Beziehungen und Kontakten. Aber sind wir deshalb alle bindungsgestört? Sicherlich nicht.

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Bindungsangst: Warum es manchmal schwerfällt Liebe zuzulassen

Bindungsangst: Überall nur Singlehaushalte

Auf unserer Suche nach dem bleibenden Liebesglück sind wir nicht allein: Die Zahl der Singlehaushalte in Deutschland ist hoch und steigt. 2019 lebten in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 17,6 Millionen Menschen alleine. Der Anteil der Single-Haushalte liegt derzeit bei mehr als 40 Prozent. Und mit Sicherheit sind diese 40 Prozent nicht zwangsläufig bindungsscheu oder leiden unter Beziehungsangst.

Vielleicht sind wir einfach wählerischer geworden, wollen erstmal leben, Erfahrungen sammeln, zögern länger, bevor wir uns fest binden. Und man muss ja auch klar sagen: Nicht jeder, der häufig wechselnde Partner hat, ist beziehungsunfähig und nicht jeder, der ein Jahrzehnt mit seinem Partner zusammen lebt, ist ein Meister in der Kunst, eine Beziehung zu führen.

Wenn jemand ungewollt Single ist, kann das viele Gründe haben. Wir haben dazu Dr. Frauke Höllering, Allgemeinärztin mit Schwerpunkt Psychosomatik und Sexualmedizin in Arnsberg, befragt. Hier einige häufige Gründe, die dahinterstecken können:

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1. Bindungsangst & die Sorge verletzt zu werden

Auch wenn ein altes Klischee besagt, dass Beziehungsangst vor allem die Herren der Schöpfung betrifft: Das Phänomen Bindungsangst ist längst auch in der Frauenwelt angekommen. Auch wenn Single-Frauen keinesfalls einsam sein müssen, so kommt eine wirklich gute Beziehung oft einfach nicht zustande.

Ein möglicher Grund: Viele haben schlechte Erfahrungen gemacht und schlichtweg Angst, erneut verletzt zu werden. Und so lassen sie sich nicht mehr auf eine enge Beziehung ein, sondern führen lockere, zwanglose Beziehungen, aus denen sie schnell wieder flüchten können.

Dann gibt es die Fraktion derer, die meint, immer an die falschen Frauen oder Männer zu geraten. Dabei suchen sie sich zielsicher gerade die Partner aus, die sie garantiert nicht glücklich machen. Es scheint, als hätten sie ein Ortungsgerät für Menschen mit Bindungsangst und das immer gleiche Muster des Scheiterns.

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2. Unreife und Egoismus als Gründe für Bindungsangst

Andere leiden selbst unter Bindungsangst, sie befürchten in einer Beziehung eingeengt zu werden. Die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit wird über eine Partnerschaft gestellt.

Dr. Frauke Höllering erklärt: „Auch Unreife und Egoismus führen zu Bindungsangst, weil die Betroffenen sich nicht in der Lage sehen, Verantwortung für eine Beziehung zu übernehmen. ‚Ich nehme mir, was ich will, gebe auch nur, wenn ich will und was ich will. Bloß keine Verpflichtungen.'“

Ein Prinzip, nach dem eine enge Bindung nicht funktionieren kann. Denn oft lautet die Forderung: „Mach mich glücklich!“ Umgekehrt wäre es aber richtig, so die Expertin: „Ich bin glücklich, was kann ich tun, damit du es auch bist?“

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3. Die Suche nach dem absolut perfekten Gegenüber

Dann gibt es noch den Kreis der Idealistinnen und Idealisten, die den Parner fürs Leben suchen. Einen, bei dem alles stimmt. Gerade diese Romantiker sind es, die oft an ihren eigenen Wunschvorstellungen scheitern. Da wird einem „normalen“ Date, das sich durchaus als Mrs. oder Mr. Right entpuppen könnte, gar keine Chance gegeben. Dabei kann sich die große Liebe auch erst im längeren Miteinander entwickeln.

Auch ein fataler Fehler: Man geht eine Beziehung mit jemandem ein, an dem einen vieles stört, in der Hoffnung, den Partner in Richtung Traumvorstellung umzumodeln zu können. „Viele versuchen, den Partner nach ihren Vorstellungen zu formen“, sagt Frauke Höllering. „Und das kann nur schief gehen.“

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4. Erfahrungen aus der Kindheit & Bindungsangst

Die Ursachen für wirkliche Bindungsangst liegen meist in unserer Kindheit begründet. Denn die Bindung zu unserer Mutter ist meist die Grundlage für alle weiteren Beziehungen. Aber nicht nur eine unempathische, lieblose Mutter kann hier etwas falsch machen, auch wenn Mütter ihre Kinder zu sehr mit Liebe überhäufen, kann das für Probleme sorgen.

Dr. Höllering: „Die Beziehung zur Mutter ist wichtig: Lässt sie einen nicht erwachsen werden, behütet sie über und räumt alle Hindernisse aus dem Weg, dann lernt man keine Verantwortung und keine Frustrationstoleranz. In der späteren Partnerschaft wird sich getrennt, sobald es schwierig wird. Wer alles nachgesehen bekommt, wird egoistisch und lernt nicht, sich für den anderen einzusetzen und auch mal aufzuopfern.“

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5. Bindungsangst in der Zeit des Online-Datings

Die moderne Art zu kommunizieren, sich virtuell statt real zu treffen, kommt Menschen mit Bindungsangst entgegen. Eine SMS statt ein Anruf, ein Foto im Chat versandt, statt ein Treffen, ein „Like“ auf Social Media, statt wirklicher Nähe. Das schafft eine Pseudo-Nähe.

Dr. Höllering: „Wir sind heute beziehungsunfähiger als früher, weil wir zu egozentrisch sind, um die Individualität des Partners zu achten und zu lieben. Der Egoismus ist ungeheuer, das Angebot an potentiellen Partnern gleichzeitig sehr groß. Dank Internet tauscht man schnell mal den Partner aus, wenn nicht alles perfekt ist.“

Und die schier unendlich große Anzahl an Freunden und Kontaktmöglichkeiten gaukelt uns vor, nicht einsam zu sein – auch wenn wir es längst sind.

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6. Gründe für Bindungsangst: Social Media & die Illusion der perfekte Beziehung

Auch das Bild in den sozialen Netzwerken ist wenig hilfreich bzw. alltagstauglich: Perfekte Körper, wildes Liebesleben, große Liebe sind erstrebenswert und lassen sich auf Instagram und Co. bewundern. Ein Anspruch, dem wir in unserem realen Leben nachzueifern versuchen.

Dr. Höllering: „Unsere Ansprüche sind durch die Medien verzerrt. Geld und Aussehen ist zu wichtig, und das Fehlen der Frustrationstoleranz bedingt einen regelmäßigen Austausch der Partner. Die Ansprüche auch an den Sex sind ungeheuerlich, man meint, es müssten auch nach Jahren regelmäßig Feuerwerke explodieren. Das kann nicht gut gehen.“

Für viele Menschen ist es der Übergang von der großen Verliebtheit in den Alltag, der ihnen Probleme bereitet. Oft wird nicht erkannt, dass erst jetzt wahre Liebe entsteht. Im Alltag. Im Auseinandersetzen miteinander, mit allen Konflikten und Problemen.

Mögliche Beziehungsformen für Menschen mit Bindungsangst

Auch das gibt es: Menschen, die zu ihrer Bindungsangst stehen. Die sich arrangiert haben. Sie stehen zu zweit auf einer Party und erzählen offen, dass sie eine eher lockere Beziehung führen. Man sei zusammen, aber die ganz große Liebe und so ganz fest sei es dann doch nicht.

Diese Halbbeziehung ist ein offenes Konstrukt, das die Vorteile einer Beziehung und die Vorteile des Singledaseins miteinander verbindet. Man hat die Nähe und Zuneigung des anderen, Zärtlichkeiten und Sex, aber man behält auch seine Freiheit. Der Alltag bleibt außen vor, man trifft sich, wenn es gerade passt.

Mittlerweile sind wir ja längst soweit, dass wir wissen, dass es nicht nur eine monogame Beziehungsform gibt. Die Welt ist bunter als Schwarz-Weiß und es gibt viele Arten des Miteinanders. Sei es eine offene Beziehung, eine polyamore Beziehung, Friends with Benefits, Mingles oder was auch immer.

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Die dauerhafte Lösung der Bindungsangst

Wer Bindungsangst hat oder ein Problem mit zu viel Nähe, der kann seine Art der Partnerschaft für sich definieren und leben. Voraussetzung natürlich immer: Beide Partner sind damit glücklich. Wenn so eine lockere, eher unverbindliche Beziehung für beide Partner in Ordnung ist, kann es gut gehen. Aber es kann auch schnell aus dem Gleichgewicht geraten, wenn sich die Prioritäten des einen Partners ändern.

Eine wirklich dauerhafte Lösung für Menschen mit Bindungsangst sind aber auch all diese anderen Beziehungsformen nicht unbedingt, denn letztlich hat man ja ein handfestes Problem, das einen belastet und mit dem man sich irgendwann auseinandersetzen muss.

Der einzige Weg für Menschen mit Bindungsangst ist, sich ihrer Angst zu stellen. Das heißt: Die immer gleichen Beziehungsmuster zu durchbrechen, indem die eigenen Handlungsmuster erkannt und geändert werden. Dann wird aus dem utopisch perfekten Mr. Right der reale Mensch an unserer Seite, mit dem wir unser Glück langfristig finden können.

Wer sich also nach einer festen Bindung sehnt und gleichwohl unter Bindungsangst leidet, kommt um ein wenige Selbstanalyse und vielleicht auch einen professionellen Ratgeber an seiner Seite nicht herum.