Für Nelly Rayes ist es ein ganz besonderer Moment am Flughafen von Santiago, Chile. Denn nach 42 langen Jahren sieht sie zum ersten Mal ihren Sohn wieder. Travis Tolliver wurde 1973 nur wenige Stunden nach seiner Geburt aus dem Krankenhaus gestohlen. Der entsetzten Mutter erzählen die Krankenschwestern, ihr Sohn sei mit einem Herzfehler auf die Welt gekommen und habe nicht überlebt. Den Körper oder eine Todesurkunde bekommt die am Boden zerstörte Nelly trotz Bitten und Flehen nie zu sehen. Heute ist Nelly 61 und ihr Sohn 42.
Was genau mit Travis geschah, ist bis heute nicht klar, doch eines ist sicher: Travis ist kein Einzelfall. Man nennt sie die „Kinder des Schweigens“ in Chile. Babys, die gestohlen und verkauft werden, oder gar von den eigenen Großeltern weggegeben werden, um Schwangerschaften zu vertuschen, die gesellschaftlich nicht akzeptiert werden. Travis‘ Adoptiveltern im US-Bundesstaat Washington wurde erzählt, er sei ein ausgesetztes Baby gewesen. Und so wächst Travis mit dem Glauben auf, seine biologische Mutter habe ihn nicht gewollt und weggegeben.

Doch je älter Travis wird, desto mehr drängt sich ihm die Frage seiner Vergangenheit auf. Nun, da er eigene Kinder hat, will er unbedingt herausfinden, wer seine biologische Mutter ist. Durch einen DNA-Test kommt er auf Nellys Spur. „Ich erfuhr, dass ich nicht, wie ich all die Jahre dachte, freiwillig weggegeben wurde, und das fühlt sich wundervoll an“, erzählt Travis im Gespräch mit dem Nachrichtensender ‚CNN‘. „Die ganze Geschichte erscheint mir immer noch total irreal.“
Nachdem Travis die Wahrheit über seine Adoption und seine Mutter erfährt, will er sie unbedingt in Chile besuchen. Über eine Fundraising-Kampagne sammelt er Geld für die Reise und kann sie so endlich treffen. Am Flughafen in Santiago wartet Nelly mit zwei ihrer Enkel auf ihren Sohn. Travis fällt seiner Mutter sofort in die Arme und beide brechen in Tränen aus. Obwohl Nelly kein Englisch spricht und ihr Sohn kein Spanisch, brauchen sie keine Worte, um ihre Emotionen deutlich zu machen. „Ich werde ihn jeden Tag umarmen“, erklärt Mama Nelly. „Ich liebe ihn so sehr.“
Schaut euch das emotionale Treffen im Video an:
Travis verbringt eine längere Zeit in Chile. Er lernt sein Heimatland kennen, trifft seine Brüder und Schwestern und baut eine enge Beziehung zu seiner Mutter auf. Nelly kann ihrem Sohn nun all die Liebe geben, die sie ihm 42 Jahre nicht geben konnte. „Ich habe mich immer unvollständig gefühlt, wie ein Außenseiter“, erzählt Travis. „Meine Adoptiveltern haben blonde Haare und blaue Augen. Ich stach in der Familie immer hervor.“ Umso schöner ist es für den verlorenen Sohn nun, endlich dazuzugehören.
Eine unglaublich tragische Geschichte, die doch noch ein Happy End gefunden hat. Wir freuen uns für Travis und seine Mutter Nelly und hoffen, dass sie sich trotz der Entfernung zwischen ihren Heimatorten im Herzen immer nah sein werden.
