Die Schriftstellerin Ildikó von Kürthy spricht im Interview über die Sichtbarkeit von Frauen, über das Altern und die Wechseljahre.
Seit vielen Jahren schreiben Sie über Frauenbilder, Selbstbilder und Veränderung. Wann haben Sie zum ersten Mal gespürt, dass das Thema Alter relevanter wird?
„Das kam in mein Leben erst geschlichen und dann gestolpert. Geschlichen als ich mich schon mit 30 aufgeregt habe über irgendwelche Fältchen und – damals noch ironisierend – über Erschlaffungserscheinungen schrieb. Über die Wechseljahre habe ich immer gedacht: Wird mich schon nicht treffen. Ich war gar nicht aufgeklärt und habe es nicht ernst genommen.
Doch dann kamen die Wechseljahre wie ein Tsunami über mich. Das war so massiv, dass ich es erstens literarisch verarbeitet hab, zweitens dann in diese fast schon aufklärerische Schiene gerutscht bin, und plötzlich saß ich auch im Bundestag und in Talkshows dazu. Das Thema ist in mein Leben gekommen und dann über mein Leben hinausgewachsen.“
Frauen verlieren ab einem bestimmten Alter an Sichtbarkeit in der medialen Öffentlichkeit, wie erklären Sie sich das?
„Eine Frau gilt nur dann als schön und begehrenswert und damit auch medial zeigenswert, wenn sie noch fruchtbar ist. Deswegen drehen sich Männer jeden Alters eher nach einer noch funktionstüchtigen Gebärmutter um als beispielsweise nach mir, wo jeder sieht: Okay, mit Nachwuchs ist bei der nicht mehr zu rechnen. Zweitens konnten sich Biografien von Frauen lange Zeit gar nicht entfalten.
Frauen sind auch deswegen in der Unsichtbarkeit verschwunden, weil sie vorher nicht groß sichtbar waren und nach ihrem 50. Lebensjahr erst recht nicht mehr. Da waren sie dann ausgemusterte Ex-Mütter. Und die Wechseljahre können eine körperlich und mental sehr beschwerliche Phase sein, die es Frauen nicht gerade leichter macht, um Sichtbarkeit zu kämpfen und ihr Licht unter dem Scheffel hervorzuholen.“
Sie haben Ihr Licht richtig angeknipst und sich bei Germany’s Next Topmodel beworben. Das Bewerbungsvideo schauten mehr als eine Million Menschen. Hat Sie diese Reaktion überrascht?
„Ich habe naiverweise überhaupt nicht mit dieser voluminösen Resonanz gerechnet. Das Video ist eher aus einer Impulskontrollstörung heraus entstanden. Ich habe die Klage von Heidi Klum gesehen: ,Best Ager fehlen mir‘ und sagte mir: ,Ach komm, die meint doch mich. Ich will die Heidi nicht hängen lassen.‘
Ein Großteil meiner Followerinnen war begeistert, weil sie kapiert haben, worum es hier geht: Um einen augenzwinkernden und dennoch ernsten Versuch, zu zeigen: ,Guckt mal, auch wenn man älter wird und nicht viel dagegen tut, kann man sich trotzdem ins Rampenlicht boxen.‘ Schönheit hat nichts mit Makellosigkeit zu tun.
Ein bisschen rauer wurde der Ton in den Kommentaren dann, als ich in einer Talkshow relativ provokant sagte, ich sei aus der Sicht der Modelwelt dick und alt. Das sind ja lediglich andere Worte für Plus-Size und Best-Age – da waren viele beleidigt. Aber nur durch Aufmerksamkeit kann man Aufmerksamkeit schaffen.
Ich habe mich so häufig weggeduckt, wenn es etwa hieß: ,Kann mal eine Frau die Laudatio halten?‘ Nee, habe ich mich nicht getraut – und dann stand wieder ein Typ auf der Bühne und hat es breitbeinig und großkotzig gemacht. Das würde ich gerne ändern durch Aufmerksamkeit.“
Bei unserer Diskussionsrunde auf dem FFF Day geht es um die fehlende Sichtbarkeit von Frauen ab 50 und darum, unsere Sehgewohnheiten zu ändern. Wer muss sich am meisten umstellen: Die Zuschauer*innen oder die Medienmacher*innen? Also das Publikum oder diejenigen, die die Rollen besetzen?
„Alle Beteiligten! Auch die, die sich zeigen wollen, müssen sich meiner Ansicht nach umstellen, denn wir sind es nicht gewohnt als ,normale, dicke und alte Frau‘ – und ich sage das bewusst und in Anführungsstrichen – auf der Bühne zu stehen, uns zu äußern und betrachtet zu werden.
Es gibt bestimmte Sehgewohnheiten, die schwer zu ändern sind. Wenn wir von Sichtbarkeit sprechen, dann geht es mir in erster Linie um Hörbarkeit, also darum, dass unsere Themen gesetzt werden. Da ist mein Eindruck, dass sich allmählich was tut. Wir werden nicht mehr nach der Kindererziehung eingemottet. Frauengeschichten jenseits der 50 sind großartig und erzählenswert, und das färbt ab auf die Darstellung der Realität in den Medien.“
Auch lesen: Tabuthema Wechseljahre: Warum Frauen da nicht „einfach durchmüssen“
In Deutschland leben rund 20 Millionen Frauen, die älter als 50 sind, ein Viertel unserer Bevölkerung, eigentlich ein gigantischer Markt. Die gelten aber nicht mehr werberelevant.
„Was völliger Quatsch ist. Die Kaufleute wissen doch, wer kauft und wer Geld hat. Ich habe keineswegs das Gefühl, dass ich mit Werbung nicht mehr angesprochen werde und kann mich durchaus von neuen Produkten überzeugen lassen. Leider mehr als mir lieb ist, gerade bei Kleidung.
Wir älteren Frauen sind eine Wirtschaftskraft. Nicht nur als Konsumentinnen, sondern auch als Arbeitnehmerinnen, und das ist die eigentliche Katastrophe, dass viele Frauen in den Wechseljahren so schlecht medizinisch betreut werden. Sie machen dann tolle Jobs nicht mehr oder gehen in Frührente, weil sie schwitzen, weil sie Brain Fog haben, weil sie Gelenkschmerzen haben und nicht mehr schlafen. Da geht ganz viel Energie und Wirtschaftskraft verloren.“
Was könnte man Ihrer Ansicht nach tun?
„Ruheräume im Büro sind nett, aber ich glaube an Medizin und Aufklärung. Ich habe in meiner Hitzephase medizinische Unterstützung gebraucht. Da sitze ich in der Talkshow und kriege keinen Satz mehr raus, weil mir der Schweiß herunterläuft, da habe ich auch nichts von einem Ruheraum.
Es klingt irgendwie gut, dass man keine Polyester-Uniformen als Flight Attendant tragen soll, aber wenn du schwitzt, dann schwitzt du, und das ist wie ein Schmerz. Mir haben die Hormone meinen Alltag gerettet und wieder ins Leben geholfen. Wir brauchen mehr Aufklärung. Eine Freundin von mir war bei ihrem Frauenarzt, klagte über typische Beschwerden und sagte, sie würde überlegen, Hormone zu nehmen, und die Antwort war: ,Ach Hormone, wollen Sie Krebs?‘“
Uh, der Arzt ist aber nicht auf dem aktuellen medizinischen Stand!
„Zur Aufklärung gehört auch die Aufklärung der Ärzt*innen, die besser ausgebildet werden müssen, und die auf den neuesten Stand der Forschung gebracht werden müssen.“
Gibt es eine überraschende Erkenntnis, die Sie während der Wechseljahre gemacht haben?
„Tausende! Ich will nicht sagen, dass ich ein neuer Mensch geworden bin. Ich habe eher den Eindruck, dass sich mein Kern freigelegt hat durch das Wegfallen dieser ganzen Kinder- und Nest-Kuschel-Hormone.
Mein Mann und meine Söhne fanden das nicht so lustig, weil dieser Weichzeichner weg war. Ich habe mehr auf meine Bedürfnisse geschaut. Ich habe mal gesagt, ach du, ich hatte gar nicht um deine Meinung gebeten. Solche Sätze kamen mir über die Lippen. Mein Inneres ist jetzt im Grunde so gut wie nie und das wird wahrscheinlich noch besser.“
Auch lesen: Schlaganfall-Risiko für Frauen: 8 Maßnahmen, um vorzubeugen
Das Motto vom FFF Day lautet „Be Bold“. Wann sind Sie mutig?
„Mich haben schon viele Sachen Mut gekostet, die für andere Kinderkram sind. Ich habe eine Angststörung, von Fliegen über Bahn fahren bis Spazieren an einsamen Stränden – da muss ich mich echt überwinden.
Mein Leben ist durchwirkt von Angst, aber dadurch auch von Mut. Es dauerte einfach eine Weile, bis mir das klar wurde. Ich dachte lange, Mut sei das Gegenteil von Angst. Angst sei ein Versagen, eine Schwäche. Heute weiß ich, dass Mut bedeutet, Angst zu haben und es trotzdem zu tun.“
Dieses Interview erschien ursprünglich auf unserem Schwesterportal EDITION F.
Ildikó von Kürthy ist Speakerin beim FFF DAY!
Am 11. Oktober 2025 findet im bcc Berlin der FFF DAY statt. Gemeinsam mit weiteren Speaker*innen spricht Ildikó von Kürthy auf der Konferenz über Sichtbarkeit von Frauen 50+ in den Medien, auf dem Panel:
„Vom Mut, unsere Sehgewohnheiten zu ändern: Sichtbarkeit von Frauen 50+ in den Medien“
Sichtbarkeit in den Medien bedeutet Macht – doch ab einem bestimmten Alter verschwinden Frauen oft aus der öffentlichen Wahrnehmung. Stattdessen dominieren klischeehafte Stereotype: die schlanke Ärztin oder die mehrgewichtige, lustige Krankenschwester. In einer Gesellschaft, in der 20 Millionen Frauen über 50 Jahre alt sind, ist diese Unsichtbarkeit besonders auffällig. Während Männer weiterhin vielfältige Darstellungen finden, stellt sich die Frage: Warum wird das Alter der Frau in den Medien so stark ausgeblendet? In diesem Panel diskutieren wir, wie wir mehr weibliche Role-Models jenseits des gebärfähigen Alters sichtbar machen und dem Klischee der ewigen Jugend entgegentreten können.
Du möchtest bei dem Panel dabei sein? Unter fffday.com findest du Infos zur Konferenz, zum Programm, zu den diesjährigen Speaker*innen und deinem Ticket, das du hier sichern kannst.

Beim FFF Day 2025 im bcc Berlin feiern wir den Mut, für Menschenrechte und Demokratie einzustehen. Unter dem Motto „Be bold“ feiern wir mutige Menschen, die Grenzen überwinden und Veränderung schaffen. Freu dich auf inspirierende Keynotes, internationale Stimmen und vielfältige Begegnungen, die Mut sichtbar und spürbar machen. Sichere dir dein Ticket JETZT.