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Erziehung: Warum das brave Kind oft am meisten leidet

Trauriger Junge steht im Vordergrund des Bildes, im Hintergrund spielt der Vater mit der Schwester.
© Getty Images/ Westend61

Warum "pflegeleichte" Kinder oft unsere größte Aufmerksamkeit brauchen.

Denn oft sind sie innerlich überfordert.

Immer angepasst, immer brav: Warum gut „funktionierende“ Kinder oft innerlich kämpfen und was du als Mutter oder Vater jetzt wissen solltest.

Viele Eltern sorgen sich um das auffällige, rebellische, ständig nölende oder wütende Kind. Verständlich. Aber was ist mit den anderen? Den braven Kindern. Denen, die sehr selten bis nie widersprechen, immer helfen, sich kümmern und funktionieren. Die gute Noten schreiben, ihr Zimmer aufräumen und die Stimmung auffangen, wenn zu Hause dicke Luft herrscht. Die alles richtig machen, weil sie spüren, dass sie es irgendwie müssen.

Viele Eltern wünschen sich genau so ein Kind. Und ja, natürlich ist es angenehm, wenn im Alltag nicht jede Kleinigkeit in einem Drama endet. Aber: Ein Kind, das immer rücksichtsvoll, angepasst und pflegeleicht ist, ist nicht automatisch ein glückliches Kind. Manchmal ist sein Verhalten sogar ein stiller Hilferuf.

Warum Kinder „zu gut“ funktionieren

Wenn Kinder sich dauerhaft an Situationen, Menschen und Bedingungen anpassen, übernehmen sie mit ihrem Verhalten Verantwortung. In der Psychologie spricht man in diesem Zusammenhang von „Parentifizierung“ oder „Rollenumkehr“. Das bedeutet: Das Kind versucht, emotional für das Wohlergehen seiner Eltern oder Geschwister zu sorgen.

Gründe für dieses oft unbewusste Verhalten gibt es viele. Konflikte in der Familie, Krankheit, Stress oder eine Trennung der Eltern, können einem Kind das Gefühl geben, funktionieren zu müssen, um nicht zusätzlich zur Last zu fallen. Es entwickelt dann eine Art inneren Scanner für die Gefühlslage der Eltern und stellt sich und die eigenen Bedürfnisse dabei immer hinten an.

Folgen der Überanpassung

Kinder, die zu Hause nie Wutanfälle haben, nie etwas verweigern oder infrage stellen, gelten oft als besonders reif oder gut erzogen. Was diese Kinder aber tatsächlich machen, ist ihre Gefühle zu unterdrücken, um eben nicht aufzufallen oder andere zu stören. Ihre eigenen Gefühle verschwinden aber nicht, sondern sie stauen sich auf.

Unterdrückte Emotionen können sich später durch psychosomatische Beschwerden wie Bauch- oder Kopfschmerzen, Schlafprobleme, Appetitlosigkeit oder sogar Depressionen im Jugendalter äußern. Auch ängstliches Verhalten, Perfektionismus oder starke Selbstkritik können Hinweise sein.

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Ein angepasstes Kind will es allen recht machen, aus Angst, sonst nicht mehr geliebt oder beachtet zu werden. Und genau das macht es so verletzlich.

Wie du erkennst, ob dein Kind sich zu sehr zurücknimmt

Nicht jedes unauffällige Kind leidet zu Hause. Es gibt Kinder, die sind einfach mit sich und ihrem Leben im Reinen. Acht geben solltest du, wenn dein Kind:

  • dich oft fragt, ob alles okay ist, auch wenn es keinen Anlass gibt.
  • sich zurückzieht, wenn es selbst traurig oder wütend ist.
  • es keine eigenen Wünsche hat.
  • es stark auf deine Stimmung reagiert.
  • es übervorsichtig wirkt.
  • sehr viel Verantwortung für sich und andere übernimmt.

Ein Kind, das sich oft so verhält, ist angepasst. Es hat früh gelernt, sich zurückzunehmen und die eigenen Gefühle und Wünsche zum Wohl anderer zu unterdrücken.

Wie kann man Kinder emotional entlasten?

Kinder müssen wissen, dass ihre Gefühle genauso wertvoll sind, wie die anderer Menschen. Deshalb ist es zum Beispiel wichtig, dass wir Eltern die großen und kleinen Gefühlsausbrüche unserer Kinder aushalten können, statt sie gleich im Keim ersticken zu wollen. Das nämlich zeigt einem Kind, dass es echt sein darf und sich nicht verstellen muss, damit andere sich gut fühlen.

Lesetipp: Millennial-Eltern: Warum Kinder heute besser mit Gefühlen umgehen als wir früher

Offen über Gefühle zu sprechen ist genauso wichtig. Wir sollten deshalb regelmäßig fragen, wie es sich z. B. nach der Schule fühlt und nicht nur, was es so gemacht hat. Indem wir Gefühle ansprechen, signalisieren wir: Du bist nicht nur durch deine Leistung wertvoll. Idealerweise ritualisiert man solche Gespräche. So kann das gemeinsame Abendbrot oder die Kuscheleinheit vorm Schlafengehen wunderbar genutzt werden, um sich auszutauschen.

Wir Eltern sollten zudem darauf achten, was unsere Kinder sich aufbürden. Sie sollen natürlich lernen, Verantwortung zu übernehmen, jedoch sollte die immer ihrem Alter entsprechen. Es ist also unsere Aufgabe, übereifrige Kinder auch mal in ihre Schranken zu weisen.

Und unsere Aufgabe als Eltern ist es, genau hinzusehen. Nicht nur auf das Verhalten, sondern auf das, was darunter liegt. Denn jedes Kind hat das Recht, gesehen zu werden, mit allem, was es fühlt. Nicht nur mit dem, was uns das Leben leichter macht.

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