Wenn Kinder bocken, quengeln oder geschickt den schwächsten Punkt in unseren Nervenbahnen treffen, sind wir Eltern schnell überzeugt davon, dass unsere Kinder uns austricksen. Sogar von Manipulation ist da hin und wieder die Rede.
Das ist natürlich ein sehr aufgeladenes Wort, denn es unterstellt unseren Kindern, dass sie uns wissentlich und in böser Absicht ausspielen, um ihren Willen durchzusetzen. Man stelle sich dieses 4-, 5-, oder 6-jährige Kind jetzt mal bildlich vor, wie es mit einem diabolischen Grinsen in seinem Zimmer sitzt und einen Masterplan schmiedet, um heute aber wirklich ein Eis von Mama und Papa zu bekommen. Ihr merkt, das klingt alles unverhältnismäßig.
Kinder sind keine Strippenzieher
Unsere Kinder sind keine Strippenzieher, die genau wissen, welche Punkte sie wann treffen müssen, um Mama und Papa nach ihrem Willen tanzen zu lassen. Kinder handeln in der Regel immer impulsiv und, und das ist das Entscheidende, aus ihrem eigenen Bedürfnis heraus. Das ist mal Nähe, mal Autonomie und mal das Eis vor dem Abendessen.
Und ja, Kinder wissen, bzw. haben gelernt, was bei uns Eltern funktioniert und wie sie an ihr Ziel kommen. Das ist aber keine Manipulation, sondern ‚Lernen am Modell‘. Und das wiederum ist ganz normales Verhalten. Kinder beobachten uns und ahmen uns nach.
Wenn ein Kind also beim zweiten Keks bettelnd die Lippen spitzt, die Stimme ein bisschen bricht und seine Eltern mit Rehaugen anschaut, dann ist das keine niederträchtige Verschwörung, sondern schlicht Überlebenstraining. Das Kind hat nämlich bereits in der Vergangenheit gelernt, dass diese Strategie funktioniert, es hat sie folglich ‚abgespeichert‘ und wiederholt sie nun einfach wieder.
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Warum wir Eltern uns so leicht einwickeln lassen
Natürlich wissen wir Erwachsenen, dass wir nicht beim kleinsten Schmollen und Betteln unserer Kinder einknicken sollten. Zumindest theoretisch. Praktisch sieht das nämlich anders aus. Wir sind oft müde, die Tage sind lang, und man hat viel zu selten die Geduld, das kindliche Drama des Tages durchzustehen. Also gibt’s eben doch den zweiten Keks, einen neuen Becher, weil der blaue der falsche war oder doch noch eine zweite Folge der Lieblingsserie.
Diese Momente machen uns aber nicht zu schlechten Eltern. Sie zeigen, dass wir Menschen sind und dass Kinder wahnsinnig gut darin sind, Bedürfnisse zu verhandeln. Das ist kein Fehler in ihrer Erziehung, sondern ein Entwicklungsschritt.
Kinder brauchen Autonomie und Selbstwirksamkeit. Sie wollen erleben, dass sie Einfluss nehmen können, dass sie Macht haben. Das ist anstrengend für uns, aber pädagogisch absolut sinnvoll. Stell dir mal vor, dein Kind würde alles klaglos hinnehmen und immer gehorchen. Klingt entspannt? Vielleicht. Aber es wäre ein Alarmzeichen. Kinder, die nie Widerstand zeigen, haben meist aufgegeben, für ihre Bedürfnisse einzutreten, sie sind überangepasst.
Manipulation oder Ausdruck von Bedürfnissen?
Laut Entwicklungspsycholog*innen ist das ‚manipulative‘ Verhalten oft nichts anderes als ein Signal. Es bedeutet, dass das Kind etwas braucht und gehört werden will. Das Problem dabei ist, dass Kinder ihre Bedürfnisse nicht immer klar benennen können. Also nutzen sie Strategien, die sich als wirksam erwiesen haben. Manche Kinder weinen, andere schreien, wieder andere zeigen sich plötzlich ganz besonders süß.
Kinder zeigen dieses Verhalten, um Nähe und Sicherheit zu bekommen. Wenn ein Kind merkt, dass Mama sofort reagiert, wenn es weint, dann ist das kein Beweis für eiskalte Manipulation, sondern für eine sichere Bindung.
Oft steckt hinter dem vermeintlichen Machtspiel des Kindes also Angst, Überforderung oder einfach ein unausgesprochener Wunsch. Die Kunst für uns Eltern liegt darin, das zu erkennen und nicht automatisch jeden Wunsch zu erfüllen.
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Warum Eltern die wahren Strippenzieher sind
Wir Eltern sind meisterhaft darin, Verantwortung auf unsere Kinder ‚abzuwälzen‘, wenn etwas anders läuft, als wir es eigentlich geplant hatten. „Die Kinder wissen eben, welche Knöpfe sie drücken müssen“, reden wir uns gerne ein. In Wahrheit aber sind wir in diesen Situationen nur zu faul oder willenlos, uns mit dem eigentlichen Grund oder Wunsch des Kindes auseinander zu setzen.
Und da beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn ein Kind, das gelernt hat, dass es sich durchaus lohnt, hier und da Theater zu machen, um etwas zu bekommen, wird das eben immer wieder machen. Wenn Kinder sich ‚durchsetzen‘, liegt es selten daran, dass sie zu schlau für uns sind. Sondern daran, dass wir Erwachsenen inkonsequent sind. Mal sagen wir Nein, dann Ja, dann Vielleicht. Wir reden, verhandeln, erklären und geben dann doch nach.
Der eigentliche Hebel liegt also bei uns. Wir Eltern müssen unser Verhalten ändern, wenn wir wollen, dass sich das Verhalten des Kindes ändert. Und das fängt, wer ahnt es bereits, bei klaren und verständlichen Regeln an. Die wichtigste dabei: Nein ist nein.
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Standhaftigkeit ist der Schlüssel
Und natürlich wird ein Kind nicht sofort darauf reagieren und versuchen, seinen Willen dennoch durchzusetzen. Aber auch dann sollten wir beim Nein bleiben. Mit Gelassenheit und Konsequenz. Kinder wollen sich selbstwirksam fühlen. Wenn wir ihnen einen stabilen Rahmen geben, müssen sie keine schrägen Taktiken entwickeln, um uns ‚um den Finger zu wickeln‘.
Schließlich brauchen Kinder keine Eltern, die alles mitmachen. Sondern welche, die liebevoll und standhaft sind und das Drama auch mal aushalten können. Das ist anstrengend. Aber es lohnt sich. Für uns. Und für unsere Kinder.
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