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Erziehung: Wenn das Smartphone wichtiger ist als du – wie du dein Kind wieder erreichst

Mädchen im Teenageralter liegt im Bett unter der Decke und schaut auf ihr Handy.
© Getty Images/ Westend61

Smartphone statt Eltern: Was ständige Erreichbarkeit mit Kindern macht

Wie Handys Nähe verhindern und was hilft, wenn Kinder ständig abgelenkt sind.

Dein Kind hängt ständig am Handy? So findest du Wege zurück zu echter Nähe, mit klaren Regeln, Verständnis und Vorbildfunktion.

Ich stehe in der Küche und führe die letzten Handgriffe aus, um das Essen fertig zu machen. Meine beiden Kinder sitzen ganz in der Nähe auf dem Sofa und starren auf ihre Handys. Ich rufe, „Essen ist fertig“ und keiner von beiden reagiert auch nur im Entferntesten. Nicht, weil sie mich ignorieren wollen, es ist das Smartphone, das lauter ist als meine Stimme. Und das fühlt sich richtig doof an. Denn es ist nicht das einzige Mal, dass ich nicht zu ihnen durchkommen, weil sie am Smartphone beschäftigt sind.

Lies auch: Gehirnentwicklung von Teenagern: So erklärt die Forschung ihr Verhalten

Wie kommt man da wieder raus? Wie wird das Handy wieder nur zum Hilfsmittel statt zum Aufmerksamkeitsfresser? Und wie nimmt man die Verbindung zu den Kindern wieder auf, die sofort auf Push-Nachrichten, nicht aber mich reagieren?

Warum das Smartphone so wichtig scheint

Bevor man ein bestimmtes Verhalten ändern oder umlenken kann, muss man erst einmal verstehen, woher es kommt. Warum also ist das Smartphone so wichtig für meine Kinder (und ehrlicherweise auch für mich. Dazu aber gleich noch mehr)?

Belohnungssystem und Social Media

Jede positive Reaktion auf einen Beitrag oder Post von uns, sorgt in unserem Körper dafür, dass Dopamin ausgeschüttet wird, ein Hormon, das wir umgangssprachlich gern als Glückshormon bezeichnen. Wir fühlen uns, als erhielten wir eine Belohnung, wenn unser Handy summt. Jugendliche sind besonders empfänglich dafür, denn ihr Gehirn entwickelt sich noch.

Und diese virtuellen Belohnungen, also Nachrichten und Likes, machen es so schwer, nicht darauf zu reagieren. Wir legen das Handy nur ungern aus der Hand, denn der nächste Dopamin-Kick könnte ja gleich kommen. Wir fühlen uns wichtig und bestätigt, wenn andere (online) auf uns reagieren.

Fomo (Fear of missing out)

Auch aus Angst, wir könnten etwas Wichtiges verpassen, legen wir das Handy nicht (weit) weg. Im Durchschnitt schaut ein Jugendlicher alle 10 bis 15 Minuten auf sein Smartphone. Das macht über 50 Blicke täglich. Im Schnitt summiert sich die Handyzeit bei vielen Teens schnell auf fünf und mehr Stunden an einem Tag auf. Und alles nur, weil sie Angst haben, etwas zu verpassen oder zu spät zu erfahren.

Eltern

Eigentlich sollten wir Eltern in Sachen Smartphone-Nutzung mit gutem Beispiel vorangehen. Machen wir aber nicht konsequent genug. Wir haben nämlich auch Angst, etwas zu verpassen und schauen deshalb viel zu oft aufs Display. Das sehen auch unsere Kinder. Und die lernen ja bekanntlich durch Nachahmung. >> Lies dazu auch: So schadet das Medienverhalten von Eltern ihren Kindern <<

Erste Anzeichen, dass dein Kind (oder du) Gefahr läuft, das Handy über alles zu stellen

Es passiert in der Regel nicht von heute auf morgen, dass das Kind (oder man selbst) plötzlich nur noch am Handy hängt. Vielmehr ist es ein schleichender Prozess. Achte darauf:

  • wie dein Kind reagiert, wenn es eine Nachricht erhält. Lässt es alles stehen und liegen oder unterbricht Gespräche, um den Bildschirm zu checken? Auch wenn das Mobilfunkgerät ruhig bleibt, wie oft wandert sein (oder dein) Blick auf das Display, um zu kontrollieren, ob nicht doch etwas angekommen ist? So schleicht sich eine Gewohnheit ein, die man nur schwer wieder ablegen kann.
  • wie investiert dein Kind in echten Gesprächen ist. Fallen die Antworten eher kurz und einsilbig aus, weil es sich schnell wieder seinem Handy widmen will?
  • wo dein Kind sein Handy überall mit hinnimmt. Muss es wirklich beim Gang ins Bad dabei sein? Auch im Bett hat das Handy eigentlich nichts zu suchen. Das führt früher oder später dazu, dass der letzte Blick vor dem Einschlafen und der erste Blick nach dem Aufwachen aufs Handy fällt.
  • wie dein Kind reagiert, wenn du es bittest, das Handy wegzulegen. Wird es da zum Teil schon wütend?

All das können Anzeichen dafür sein, dass das Handy einen zu hohen Stellenwert bei deinem Kind eingenommen hat.

Was man konkret tun kann

Als Erstes sollte man sich bewusst machen, welche Rolle das eigene Handy einnimmt. Es ist nämlich nicht fair, dem Kind etwas zu verbieten, woran man sich selbst nur schwer halten kann. Wer möchte, dass das Kind weniger Zeit am Handybildschirm verbringt, sollte auch selbst auf die eigene Bildschirmzeit achten.

Aus eigener Erfahrung (und mit Blick auf Forschung & Empfehlungen) sind diese Schritte wirklich hilfreich:

1. Gemeinsame Regeln ‚erarbeiten‘

Teenagern Regeln einfach nur aufzuerlegen, hat selten Erfolg. Vielversprechender ist es, wenn man gemeinsam mit dem Kind Lösungen für weniger Handyzeit findet. Bei uns gelten zum Beispiel die folgenden Regeln:

  • Mahlzeiten sind handyfreie Zeiten
  • kein Handy im Badezimmer
  • Handy in den Flugmodus, wenn es ins Bett geht
  • gemeinsame Aktivitäten, bei denen alle ihr Handy liegen lassen

Ziehen alle an einem Strang und niemand beansprucht Sonderregeln (nach dem Motto, „ich bin der Erwachsene, ich darf das aber“), fällt es allen leichter, sich an die Regeln zu halten.

Lesetipp: Gute Erziehung: Wie klare Regeln starke Kinder hervorbringen

2. Bewusstsein schaffen

Viele Eltern nutzen Apps auf den Smartphones der Kinder, über die sie bestimmte Funktionen ausschließen oder auch Bildschirmzeiten festlegen können. Oft wissen wir Eltern also sehr genau, wie viel Zeit das Kind am Handy verbringt. Und man selbst? Es öffnet einem die Augen, wenn man sich die eigenen Nutzungszeiten mal ansieht. Da kommen einem die 2 Stunden Handyzeit des Juniors plötzlich gar nicht mehr so schlimm vor.

Sprecht mal über eure Bildschirmzeiten und darüber, was genau ihr am Handy macht. Nutzt ihr es, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben oder schlagt ihr nur Zeit in endlosen Social-Media-Feeds tot? Vielleicht stellt ihr also nicht nur euren Kindern, sondern auch euch selbst mal Nutzungszeiten ein?

3. Offline-Momente

Versucht ganz bewusst, täglich Momente zu schaffen, in denen ihr alle auf das Handy verzichtet (über die gemeinsamen Mahlzeiten hinaus). Geht eine kleine Runde spazieren, bereitet zusammen das Abendessen vor oder spielt mal wieder ein kurzes Kartenspiel. Sorgt dafür, dass euch die Zeit ohne Handy leicht fällt und dass ihr die Zeit miteinander genießen könnt.

Richtet medienfreie Zonen ein wie das Bad, das Bett oder den Esstisch und haltet euch daran. Nach einer Weile wird es euch immer leichter fallen, das Handy liegenzulassen.

Versucht’s mit einer Digital-Detox-Challenge. Ein Wochenende, ein Nachmittag oder immer derselbe Abend pro Woche ohne Smartphone. Und sprecht danach darüber, wie es für alle war, was gut war, was gefehlt hat oder was vielleicht besonders schön war.

4. Positive Techniknutzung

Es ist Quatsch, das Handy und alle damit verbundenen Möglichkeiten zu verteufeln. Denn der kleine Minicomputer macht uns ganz oft das Leben viel leichter. Es gibt unzählige Apps und Inhalte, die uns einen großen Mehrwert bieten. Wir können so gut wie jede Zeitung darauf lesen, wir können ganz einfach mit Freunden und Familie in Kontakt bleiben oder wir können kreativ werden und Dinge erschaffen. Es kommt also darauf an, was wir machen, wenn wir online sind.

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Das sagt die Wissenschaft

Nach Aussage der Initiative ‚Medienbildung leicht gemacht‘ von ARD, ZDF und Deutschlandradio, sind ’nur‘ etwa 4 bis 6 Prozent der Jugendlichen in Deutschland mediensüchtig. Sie sind also abhängig von Messengern wie WhatsApp, sozialen Netzwerken wie Instagram, Snapchat oder TikTok oder Onlinespielen.

Auch wenn nicht alle Jugendlichen abhängig von Bildschirmen und Onlinezeit sind, trotzdem verbringen viele von ihnen täglich zu viel Zeit vor Bildschirmen. Und verbringen auch wir vor Bildschirmen. Lies dazu auch: So viel Bildschirmzeit ist laut Experte unbedenklich

Um nicht in ein Extrem zu rutschen, ist es erforderlich, rechtzeitig einzugreifen und klare, faire Regeln zur Bildschirmnutzung aufzustellen. Und dazu gehören Regeln für den Gebrauch des Handys. Feste, offen kommunizierte Bildschirmzeiten wirken hier am besten. Auch medienfreie Zeiten und Orte helfen dabei, dem Onlineleben nicht zu viel Gewicht beizumessen. Das Hier und Jetzt und die Nähe zueinander sollte immer mehr zählen als Benachrichtigungen auf dem Handy.

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