Vor ein paar Jahren habe ich noch gedacht, wir würden mit unseren Kindern die Welt entdecken. Jedes Jahr ein neues Ziel, neue Erfahrungen, neue Abenteuer. Dann kam das zweite Kind, dann die Schule und irgendwann fanden wir uns jeden Sommer wieder in derselben kleinen Ferienwohnung an der Ostsee. Gleicher Ort, gleiche Eisdiele, gleicher Strandabschnitt. Klingt langweilig? Für uns nicht. Und für viele andere Familien offenbar auch nicht.
Hört man sich in seinem Freundes- und Bekanntenkreis so um, entscheiden sich sehr viele Familien immer wieder für das gleiche Urlaubsziel. Gerade mit kleineren Kindern ist der Wunsch nach Vertrautheit besonders groß, aber das ist längst nicht der einzige Grund. Warum Familien so oft an denselben Ort fahren, was das mit Bindung, Entwicklung und Entspannung zu tun hat und warum genau darin eine große Chance liegt, liest du hier.
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Warum Eltern Routine manchmal mehr brauchen als Abenteuer
So schön Urlaub sein kann, er ist für Eltern irgendwie auch immer ein Kraftakt. Bis alle Sachen gepackt, die Kinder versorgt, die Haustiere untergebracht und die letzten To-dos erledigt sind, verbraucht man oft mehr Energie als einem lieb ist. Wenn dann vor Ort auch noch alles neu und ungewohnt ist, kostet das zusätzlich Kraft. Und zwar nicht nur bei den Eltern, sondern auch bei den Kindern.
Wer jedes Jahr an denselben Ort fährt, spart sich viele dieser Reibungspunkte. Man weiß, was einen erwartet: Die Unterkunft ist erprobt, der Weg zum Supermarkt bekannt, das Lieblingsrestaurant reserviert man gleich bei der Ankunft. Für Eltern, die im Alltag ohnehin ständig organisieren, entscheiden und managen müssen, ist das ein enormer Vorteil (Grüße gehen vor allem raus an alle Mamas).
Die mentale Entlastung durch bekannte Abläufe, vertraute Wege und feste Routinen sorgt dafür, dass echte Erholung überhaupt erst möglich wird. Viele Menschen wollen genau deshalb im Urlaub gar nicht ständig Neues erleben.
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Kinder profitieren doppelt von Urlaubsroutinen
Für Kinder ist ein vertrauter Urlaubsort mehr als eine bequeme Lösung. Er ist ein echter Wachstumsraum. Wenn die Kinder wissen, wo der Spielplatz ist, wie man zum Strand kommt und wo es das beste Eis gibt, gibt ihnen das nicht nur Orientierung, sondern vor allem Sicherheit. Und Sicherheit ist die Grundlage für Selbstständigkeit.
Pädagog*innen wissen, dass Kinder dann besonders gut neue Erfahrungen machen können, wenn sie in einem geschützten Rahmen agieren dürfen. Ein immer wieder besuchter Ferienort wird zu so einem sicheren Rahmen. Er wird fast zu einem zweiten Zuhause. Die Kinder wissen, worauf sie sich freuen können, sie übernehmen schnell kleine Aufgaben (allein Brötchen holen, den besten Weg zum Strand finden), und sie erleben: Ich kenne mich hier aus. Ich kann mich bewegen. Ich darf wachsen.
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Zudem stärkt die Wiederholung solcher Erlebnisse das Selbstbild und die familiäre Identität. „Weißt du noch, wie du letztes Jahr allein Muscheln sammeln warst?“ Solche Erinnerungen schaffen emotionale Anker. Und die sind wertvoller als jedes Souvenir.
Warum (Urlaubs)Wiederholung Nähe schafft
Rituale strukturieren unser Leben, nicht nur im Alltag, sondern auch im Urlaub. Der immer gleiche Ort, das gleiche Frühstück auf dem Balkon, der tägliche Spaziergang zur Eisdiele sind alles wiederkehrende Elemente, die Orientierung geben und Verbundenheit stärken. Gerade für Familien in stürmischen Alltagsphasen (Pubertät, Schuleintritt, Geschwisterkonflikte) kann so ein vertrauter Urlaubsort wie ein sicherer Hafen wirken.
Psycholog*innen wie bspw. Stefanie Stahl beschreiben in ihren Veröffentlichungen regelmäßig, wie wichtig es ist, dass Kinder in einem „sicheren inneren Zuhause“ aufwachsen, mit stabilen Bezugspersonen, aber auch mit wiederkehrenden positiven Erfahrungen. Wenn der Urlaubsort Teil dieser inneren Schatzkiste wird, trägt das zur seelischen Stabilität bei.
Zudem schaffen Wiederholungen Tiefe. Wer ein Reiseziel kennt, entdeckt neue Schichten. Man sieht nicht nur die Postkartenkulisse, sondern spürt auch, wie sich die Atmosphäre verändert, wie der Ort „tickt“, wie die Jahreszeiten Einfluss nehmen. Man wird nicht bloß Tourist, sondern Teil der Kulisse.
Was spricht gegen (Urlaubs)Abwechslung? Gar nichts, aber …
Natürlich spricht nichts dagegen, neue Orte zu erkunden, Kulturen kennenzulernen und den eigenen Horizont zu erweitern. Und viele Familien machen genau das, entweder im Wechsel oder wenn die Kinder größer und flexibler werden. Die Frage ist nur: Müssen wir jedes Jahr etwas Neues erleben, um gut erholt zu sein?
Die Antwort lautet: Nein.
Studien zeigen, dass der Erholungseffekt im Urlaub nicht primär von der Entfernung oder der Neuartigkeit des Reiseziels abhängt, sondern davon, wie sehr wir dort zur Ruhe kommen können. Wer ständig plant, sucht, vergleicht und organisiert, kann sich häufig weniger regenerieren als jemand, der am gleichen Ort einfach loslassen kann.
Besonders im Zeitalter von Social Media, wo Reisen oft als Statussymbol inszeniert werden, ist es gut, sich klarzumachen: Was anderen spektakulär erscheint, ist nicht zwangsläufig erfüllend. Und was nach außen banal wirkt, kann für eine Familie ein echtes Highlight sein, eben weil es ganz zu ihr passt.
Familienurlaub muss nicht spektakulär sein, um wertvoll zu sein
Vielleicht liegt der wahre Luxus unserer Zeit ja nicht in der Fernreise, sondern in der Fähigkeit, an einem Ort wirklich anzukommen. Für viele Familien ist der immer gleiche Urlaubsort kein Ausdruck von Langeweile, sondern ein bewusster Akt der Selbstfürsorge. Für die Kinder, für die Eltern, für das Familienleben als Ganzes.
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Ich habe irgendwann aufgehört, mich dafür zu rechtfertigen, dass wir schon wieder an die Ostsee fahren. Stattdessen genieße ich die Zeit dort oben einfach, weil ich weiß, was mich und meine Familie erwartet.
Und genau darum geht es doch im Familienurlaub: sich auskennen, sich fallenlassen können und gemeinsam Erinnerungen schaffen, die bleiben.
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