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Khalida Popal: „Wir wollen die Stimmen der Frauen Afghanistans sein“ 

Khalida Popal
Khalida Popal ist Mitbegründerin der Frauenfußballnationalmannschaft von Afghanistan. Credit: Getty Images / Tariq Mikkel Khan

Khalida Popal ist Mitbegründerin und ehemalige Spielerin der afghanischen Frauenfußballnationalmannschaft – in einem Land, in dem Frauen kaum mehr Rechte haben. Was es bedeutet eine Frau in Afghanistan zu sein, über Wünsche, Träume und Kämpfe sprachen wir mit Khalida Popal.

Weil sie Fußball spielen wollte, wurde sie mit Mord bedroht. Khalida Popal trainierte als Kind hinter hohen Mauern und „leise“, denn Sport war für Mädchen nicht erlaubt. Sie wurde von Konservativen ins Gesicht geschlagen und ihre Mutter als Prostituierte beschimpft.  

Sie und ihre Familie hielten durch und die junge Frau wurde die erste Kapitänin der afghanischen Frauenfußballnationalmannschaft. Das Fußballtraining in der Öffentlichkeit war weiterhin mit erheblichen Gefahren verbunden, und als Popal als Erste den systematischen sexuellen Missbrauch gegen Mitglieder der afghanischen Frauenfußballnationalmannschaft an die Öffentlichkeit brachte, versuchte man, sie umzubringen. Popal musste fliehen, hat inzwischen mehr als 500 Menschen vor den Taliban gerettet und ihnen in anderen Ländern Zuflucht ermöglicht.  

Khalida Popal lebt im Exil in Kopenhagen. Sie hat dort die gemeinnützige Organisation „Girl Power“ gegründet, die sichere, inklusive Räume für Frauen und Mädchen insbesondere aus marginalisierten Gemeinschaften schaffen möchte. Hier wird durch den Fußball versucht, eine Brücke zu bauen zwischen Einwanderinnen und Isolierten mit der Gesellschaft. 

Wie lautet deine Definition von Mut? 

Mutig zu sein bedeutet für mich, aufzustehen, sich zu behaupten, laut zu sein und sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Gegen diejenigen, die Frauen zum Schweigen bringen, die Menschen zum Schweigen bringen. Ich habe als Verteidigerin Fußball gespielt und auf dem Spielfeld verteidige ich das Tor und außerhalb des Spielfelds verteidige ich die Menschenrechte, und meine Plattform war immer der Fußball. 

Durch den Fußball habe ich gelernt, mutig, stark und furchtlos zu sein, aber auch verletzlich. Verletzlichkeit war etwas, worüber man im Fußball normalerweise nicht spricht, weil es ein sehr maskuliner Sport ist. 

Wie hast du den Mut gefunden, gesellschaftliche Normen zu brechen und als Frau eine öffentliche Rolle zu übernehmen, in einem Land, in dem dies bedrohliche Konsequenzen haben kann? 

In einem von Männern dominierten Land aufzuwachsen, bedeutet für dich als Frau, dass deine Menschenrechte eine Art Kampf für dich sind. Um jedes einzelne Recht, das du als Mensch haben möchtest – und diese Rechte sind für so viele Menschen auf der ganzen Welt selbstverständlich – musst du als Frau in einer patriarchalen Kultur kämpfen. Ich wollte mich nicht an die Normen halten, weil ich kein Opfer sein wollte. Ich wollte keine Frau sein, die nicht für sich selbst entscheiden kann und keine Entscheidungs- und Wahlmöglichkeiten hat. Und das kommt wieder aus einem privilegierten Hintergrund, denn natürlich hatte ich eine Familie, die Verständnis hatte, die Bildung und Wissen hatte, die mich unterstützte. 

Viele Mädchen und Frauen in Ländern wie dem, aus dem ich komme, haben diese Privilegien nicht. Mit meinem Privileg hatte ich also die Verantwortung und die Macht. Dein Privileg ist deine Macht und deine Verantwortung gegenüber dir selbst, aber auch gegenüber deiner Gemeinschaft. Und so wollte ich es nutzen. 

Die Macht, die Narrative zu ändern, die Normen zu ändern, mich abzuheben und die Normen in Frage zu stellen und tatsächlich die Barrieren zu durchbrechen, die etwa besagen, dass Frauen in die Küche gehören und keine Entscheidungen treffen dürfen. Fußballspielen ist für uns ein mächtiges Werkzeug, weil es als Männersport gilt. Es gilt als maskuliner Sport, selbst in sehr entwickelten Ländern wie Dänemark und Deutschland.  

Fußball war nie ein Werkzeug für uns, um unsere Fähigkeiten auszubauen oder um die besten in Afghanistan zu sein, wo wir wirklich schlechte Einrichtungen und Möglichkeiten hatten. Fußball gab uns eine Plattform, um die Stimme für unsere Schwestern zu sein. 

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Weil du diese Stimme warst, gab es ein Attentat auf dich.  

Ja. Ich dachte, dass es das war, das es mein Ende ist. In Ländern wie Afghanistan hat man nicht das Privileg, wählen zu können. Es ist nicht so, als würde man einfach morgens aufwachen und plötzlich Aktivistin sein. Es ging um mein Leben! In Afghanistan entscheidest du nicht: Oh, heute möchte ich Frauenrechtsaktivistin sein, heute möchte ich Feministin sein oder morgen möchte ich Klimaaktivistin sein. Dieses Privileg haben wir leider nicht. Es ist unser Leben, das wir leben. Wir müssen uns wehren. 

Sonst gibt es zwei Möglichkeiten: entweder für das zu sterben, wofür man kämpft, oder sich einfach zu fügen und Ja zu sagen, und dann stirbt man als Frau sowieso, weil der Lebenszyklus von Frauen von Männern bestimmt wird.  

Die Geburt eines Mädchens wird immer noch als Tabu angesehen, als eine Art Schande. 

Viele Eltern schämen sich dafür, ein Mädchen zur Welt zu bringen, weil Männer sich nicht mächtig und stark fühlen, wenn sie Vater eines Mädchens werden. Selbst bevor man auf die Welt kommt, gibt es schon diesen Druck. Und dann, wenn man anfängt, erwachsen zu werden, muss man sich als Erstes anders verhalten. Du musst die Hüterin sein, der Ehre deines Bruders, deines Vaters. Wenn etwas passiert und du etwas gegen die Norm tust, wird die ganze Familie darunter leiden. Sie wird sich schämen und von der Gesellschaft kritisiert werden, weil sie es nicht geschafft hat, ihre Tochter gut zu erziehen oder zu kontrollieren. Das ist die Denkweise. So sieht der Lebenszyklus von Frauen aus, bis sie ihre Tochter an eine andere Familie abgeben. Und dann wirst du zu einer Maschine, die Kinder produziert und putzt und wäscht. Bis du stirbst, sehen sie Frauen nicht als Frauen, sehen nicht, was sie wollen und was ihre Stimme ist. Das ist es, was meine Generation ändern wollte, und selbst bei der jüngeren Generation hat sich das geändert, weil wir diese Kette durchbrechen wollten. Das verdanken wir unseren Müttern, denn sie wollten diese Kultur des Missbrauchs und der Unterdrückung und diese Denkweise nicht fortsetzen. Für uns war es Fußball, für andere in der Gesellschaft war es während der Entwicklung Afghanistans Musik und andere Branchen, in denen sie aktiv waren. 

Nachdem die Taliban zum ersten Mal die Macht im Land übernommen hatten, haben wir unser Leben wirklich dem Aufbau unseres Landes gewidmet, um all diesen Normen entgegenzutreten, diese Ketten zu sprengen und diese Barrieren zu durchbrechen, um die jüngere Generation zu inspirieren. 

Die jüngere Generation war ganz anders. Ihre Denkweise ist ganz anders. Selbst die Jungen, ihre Denkweise, ihre Art zu denken, ist ganz anders. Sie sind modern. Sie sind liberal. Sie wollen nicht kämpfen. Sie wollen keinen Krieg. Sie wollen Bildung. Sie wollen sich entwickeln, sie wollen wachsen. Ihre Denkweise ist ganz anders, aber es ist bedauerlich, dass wir zu wenig Zeit hatten und das Land zusammengebrochen ist. 

Welches Gefühl empfindest du, wenn du an Afghanistan denkst? 

Ich bin traurig. Ich bin betrübt. Ich sehe, wie mein Land und die Frauen meines Landes von den Männern, den männlichen Führern in Afghanistan sowie den westlichen Führern in Afghanistan, die daran beteiligt waren, verraten werden. 

Ich sehe unschuldige Menschen, die keine Gedankenfreiheit, keine Meinungsfreiheit, keine Wahlfreiheit und keine Menschenrechte haben. 

Es ist wie ein Privileg, wenn sie Zugang zu Menschenrechten haben, also Zugang zu Bildung, zu Freiheit, zu Sport, dazu, als Frau allein im Park zu sein oder im Park spazieren zu gehen. 

Afghanistan wurde alles genommen. 

Erhältst du auch heute noch Morddrohungen? 

Ich habe Morddrohungen erhalten, Anrufe, Warnungen wegen meines Lebensstils, wegen meiner Person, weil ich immer lautstark meine Meinung sage, und weil ich sehr stark gegen das bin, was die patriarchalische Kultur von einer Frau erwartet. 

Das Bild, das die patriarchalische Kultur von einer Frau erwartet, ist genau das Gegenteil von dem, was ich bin. Und das bedeutet, dass nach der Sharia einige Frauen wie ich gehängt, gesteinigt oder getötet werden sollten. 

Wer auch immer an eine solche Kultur und einen solchen Glauben glaubt, ich bin gegen all das, dadurch wie ich mich hervorhebe, wie ich bin, was ich bin, was meine Werte sind. 

Du hast Vergewaltigungen im Flüchtlingslager und im Trainingslager miterlebt… 

Jedes Mal, wenn es einen Kriegskonflikt gibt, sind es die Frauen und Kinder, die am meisten leiden und den Preis dafür zahlen. In unserer Kultur in Afghanistan war es tabu, über Missbrauch und Belästigung zu sprechen. Das bedeutet: Egal, was dir widerfährt, du wirst zum Schweigen gebracht. Man kann sich nicht wehren und seine Stimme nicht erheben. So fühlen sich die Täter gestärkt, weil sie wissen, keine Frau wird sich gegen sie auflehnen. Es ist Teil der Kultur, den Opfern die Schuld zu geben, und das nicht nur in Afghanistan, sondern in so vielen Ländern auf der ganzen Welt, sogar in sehr entwickelten Ländern. 

Ich spreche nicht nur von Frauen, aber es sind meistens Frauen, die vergewaltigt werden und in eine solche sehr prekäre Situation geraten. Das ist Teil der männlich dominierten und patriarchalen Kulturen, es ist ganz natürlich, dass so etwas passiert. Genau das habe ich erlebt, weil Männer an der Macht sind. Sie tun, was sie wollen, weil sie die Macht haben, und sie suchen sich aus, was sie wollen, tun, was sie wollen, missbrauchen ihre Macht. Sie wissen, dass Frauen keine Stimme haben und sich nicht zu Wort melden werden. 

DU hast dich aber für sie eingesetzt! 

Ja, das habe ich. Ich hatte solche Angst. Als einzige junge Frau in den Medien zu sprechen, dies öffentlich zu machen, dieses Thema! Zum ersten Mal sprach eine Frau im nationalen Fernsehen über Vergewaltigung. Es ging um Worte, die es noch nie gab, Worte wie sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, Machtmissbrauch. Das war etwas, was unsere Nation nicht gewohnt war zu hören. Missbrauch war Teil des Alltags. Er wurde Teil der Identität und der Kultur. Als ich darüber sprach, griffen die Leute mich an. Sie machten mir Angst. Sogar einige Afghanen aus der afghanischen Gemeinschaft, die in der Diaspora leben, bedrohten mich. Sie versuchten, mich aufzuhalten. Aber es gab auch Menschen, die hilfsbereit und dankbar waren. Sie waren erleichtert, dass endlich jemand für sie spricht. Das hat mich motiviert und mir Kraft und Energie gegeben. 

Als Ergebnis sind so viele Fälle danach an die Öffentlichkeit gelangt. Ich bin froh darüber, aber es hat mich traumatisiert. Ja, ich fühlte mich am Boden zerstört. Ich hatte mit so vielen psychischen Problemen und Herausforderungen zu kämpfen, weil die Leute sogar nach Dänemark kommen, wo ich lebe. Sie sind mir gefolgt. Sie haben meine Adresse herausgefunden. Sie haben meine Familie bedroht und gewarnt. Sie haben mich von rechts und links angegriffen. Das war beängstigend, aber jemand muss sich wehren und jemand muss das beenden. 

Kannst du den Moment beschreiben, in dem dir klar wurde, dass Fußball ein mächtiges Instrument für sozialen Wandel sein kann? 

Wir haben Geschichte geschrieben, indem wir Frauen zum ersten Mal die Nationalmannschaftskleidung trugen und die Nationalhymne gespielt wurde. Das war ein fantastischer Moment. Oder als das Land wieder in die Hände der Taliban fiel: Das großartige Netzwerk des Fußballs, die Familie des Fußballs aus der ganzen Welt hat mir sofort geholfen. Wir konnten viele Frauen und Mädchen evakuieren und retten. Meine Organisation arbeitet mit Flüchtlingsfrauen aus der Ukraine, aus einigen afrikanischen Ländern, aus Afghanistan und Syrien zusammen. Wenn wir zusammenkommen und gemeinsam Aktivitäten durchführen, teilen wir denselben Schmerz, unabhängig davon, woher wir kommen. Durch den Fußball finden wir Heilung und überwinden diese Herausforderungen und Barrieren, und die Schwesternschaft gibt uns Kraft. 

Wie war es, Afghanistan als Fußballspielerin zu vertreten, angesichts der kulturellen und sozialen Einschränkungen des Landes? 

Diejenigen, die Freiheitskämpfer sind, darunter Menschen wie mein Vater und mein Bruder, hätten alle Macht gehabt, mich zu kontrollieren und mich zu Hause in die Ecke zu stellen und Nein zu meiner Ausbildung zu sagen, Nein zu meinem Fußball. Das haben sie nicht, daher wurden sie als schwach angesehen. Sie wurden als Männer angesehen, die ihre Töchter nicht kontrollieren können. Es ging also nicht nur um mich, sondern auch darum, wie meine Familienmitglieder mit den Herausforderungen umgingen. Jedes Mal, wenn wir unser Land repräsentierten, ging es nicht nur um die Nation, sondern auch darum, die Frauen Afghanistans zu repräsentieren. Es ging darum, sie zu stärken, zu unterstützen und ihnen eine Stimme zu geben. 

Deshalb setzen wir uns ständig und kontinuierlich dafür ein, dass wir eine Nationalmannschaft aus dem Exil haben wollen, weil wir die Frauen Afghanistans repräsentieren wollen, die Stimmen der Frauen Afghanistans sein wollen. Wir wollen niemals die Denkweise und Mentalität derjenigen repräsentieren, die Frauen tatsächlich aus der Gesellschaft ausschließen.  

Hast du Hoffnung? 

Die Frauen in Afghanistan sind draußen auf der Straße und demonstrieren, sie kämpfen. Sie betreiben geheime Schulen und riskieren dabei ihr Leben. Sie versuchen wirklich alles, um einen Weg zu finden.  Und das macht mich hoffnungsvoll für die Zukunft, denn jetzt kämpfen sie gegen die Taliban. Sie stehen dort, wo die Augen der Welt nicht auf Afghanistan gerichtet sind, wo keine Medien darüber berichten. Und es gibt keine Investitionen in Afghanistan, aber es sind die Menschen vor Ort, es sind die Männer und Frauen Afghanistans, sie kämpfen, sie demonstrieren, sie stellen den Taliban Fragen zu ihren Rechten.  

Die positive Botschaft ist, dass ihr nicht vergessen seid. Wir geben unser Bestes. Wir sind hier. Wir tun alles, was möglich ist, um Afghanistan relevanter zu machen. Ich wurde gezwungen, Afghanistan zu verlassen, doch ich habe das Gefühl, dass ich zurückgehe. Das Zurückkehren wurde immer wieder hinausgezögert und manchmal möchte ich gar nicht zählen, wie viele Jahre es her ist, seit ich Afghanistan verlassen habe, weil es sich so beängstigend und lang anfühlt. Aber ich hoffe immer noch, dass es eines Tages so weit sein wird. 

Welchen Rat würdest du deinem jüngeren Ich und auch anderen jungen Frauen in ähnlich herausfordernden Umgebungen geben? 

Glaube immer an Schwesternschaft und Zusammenhalt, schätze und lobe immer die Kraft der Einheit. Stärkt euch gegenseitig und baut euch gegenseitig auf. Kämpft nicht gegen andere Frauen, gegen andere Mädchen. Das Patriarchat will uns gegeneinander ausspielen. Lasst kein Patriarchat zu. Um zu gewinnen, strahlt einfach und lasst dieses Strahlen und dieses Licht auch auf andere Frauen scheinen. 

Khalida Popal ist Speakerin beim FFF DAY!

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