Leni Bolt ist Expert*in für Achtsamkeit und Selbstakzeptanz, Host der Netflix-Serie „Queer Eye Germany“, die mit dem Grimme-Preis 2023 ausgezeichnet wurde und Teil der LGBTQIA+ Community. Lenis Anliegen: Menschen dabei zu unterstützen, ihr Stress-Level zu senken, Angstblockaden zu überwinden und selbstbewusster durchs Leben zu gehen.
Wir sprachen mit der nonbinären Transfrau über Burnout, wie man sich selbst Grenzen setzt und über die Probleme, mit denen viele queere Menschen im Job zu kämpfen haben.
Yvonne Weiß: Danke, dass du dir Zeit nimmst für das Interview. Was sagst du Menschen, die dir sagen: Ich hab keine Zeit?
Leni Bolt: „Zeit hat man nicht. Zeit nimmt man sich. Das musste ich mir auch beibringen, als ich vor einigen Jahren einen Burnout erlitten habe. „Hab‘ keine Zeit“ war mein typischer Satz. Ich hatte nicht mal Zeit für sportliche Aktivitäten, dabei sollte mir meine eigene körperliche Gesundheit wichtig sein. Mein großes Learning aus dem Burnout war: Ich muss mir künftig Zeit für die Dinge nehmen, die entscheidend sind.“
Und wie klappt das?
Leni Bolt: „Mal mehr, mal weniger gut. Was mir total hilft, – das klingt jetzt voll nerdy – ist eine richtige Kalenderplanung. Ich trage mir alles in meinen Kalender ein, auch „Me Time“ oder Website-Aktivitäten.
Gerade als Selbständige ist es schwierig, sich Grenzen zu setzen, sich einen Arbeitsalltag zu schaffen, und ich musste mir einen Plan schaffen, damit es eben nicht mehr passiert, wie damals, dass ich bis nachts arbeite.
Ich habe verschiedene Kalender-Kategorien: Privat, Work, Business Events. Was wir hier gerade machen, ist ein Business Event, weil ich interagiere mit einem anderen Menschen.“
Sind Zeitmanagement und Achtsamkeit im Arbeitsalltag nicht Gegenspieler?
Leni Bolt: „Eigentlich nicht, denn wenn du dein Zeitmanagement unter Kontrolle hast, schaffst du dir mehr Raum, um Achtsamkeit ausüben zu können. Klar, Zeitmanagement bedeutet auf jeden Fall fokussiert zu sein. Aber auch Dinge unter Kontrolle zu haben, um sich Freiraum zu schaffen. Man investiert Zeit, um welche zu haben.“
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Gibt es denn eine Person oder ein Erlebnis, die bei dir eine Veränderung ausgelöst haben, den einen entscheidenden Moment?
Leni Bolt: „Ja, den gab es. Und habe im Agenturbusiness gearbeitet in Berlin und war krass überarbeitet. Damals habe ich alles gegeben für diesen Job, ich wollte das so, es war also teilweise mein Fehler.
Auf der anderen Seite hatte ich einen Chef, der sehr viel gefordert hat und mentale Gesundheit nicht auf dem Schirm hatte. Da gab es den Moment, als wir gemeinsam zu einem Event gefahren sind nach Hamburg.
Eigentlich war ich total krank, ich hatte Grippe und mir auf dem Weg dann einfach alles an Tabletten reingepfiffen, damit ich trotzdem performen kann. Da hatte ich zum ersten Mal den Gedanken, mein Leben komplett neu umzukrempeln.“
Du hast mal gesagt, die Modewelt habe dich in der Schulzeit erst gerettet, später dann zerstört.
Leni Bolt: „Als Teenager habe ich viel Mobbing erfahren, da war die Modewelt in Berlin total die Rettung für mich, dort waren alle offener, du konntest so sein, wie du möchtest, du konntest dich so kleiden, wie du möchtest, also ganz anders als auf meinem Schulhof.
Doch als ich dann Modedesign studiert und einige Praktika gemacht habe, wurde mir die Welt hinter dieser Fassade klar.“
Es gab einen Moment auf dem Schulhof, als dich jemand gefragt hat: Bist du ein Junge oder ein Mädchen? War das der Moment, als du zum ersten Mal darüber nachgedacht hast?
Leni Bolt: „Ja, definitiv. Da war ich elf. Vorher hatte ich mir über meine eigene Identität keinerlei Gedanken gemacht. Es war mir eigentlich total egal. Aber ab dann gab es Unterscheidungen, das Dating ging los, und ich habe als nicht-binäre Personen eben nicht so hineingepasst.
Das wusste ich damals allerdings alles noch nicht. Die Begrifflichkeiten gab es noch nicht, das ist jetzt erst durch die Aufklärungsarbeit vieler Menschen zustande gekommen. Jetzt bezeichne ich mich als eine nonbinäre Person oder eine nonbinäre Transfrau.
Es gibt ja auch die Unterscheidung zwischen binären Transfrauen und nicht-binären Transfrauen. Ich möchte jetzt nicht für binäre Transfrauen sprechen, aber die haben schon den Anspruch, wirklich komplett den Weg zu gehen, auch operativ, mit geschlechtsangleichenden Operationen.
Ich weiß, dass ich eher weiblich gelesen werde, und das gefällt mir auch, aber ich würde trotzdem sagen, dass ich in einer gewissen Art und Weise nonbinär bin, weil ich eben nicht alle operativen Schritte gehen möchte.“
Früher hat dich deine tiefe Stimme gestört, ohne die würde man dich sofort als Frau lesen, ist das jetzt anders?
Leni Bolt: „Ich war wirklich lange Zeit sehr unsicher damit. Deshalb habe ich auch nie öffentlich gesprochen, wie crazy ist es jetzt, dass ich bei Events wie dem FFF-Day SPRECHE? Das war für mich damals undenkbar, doch mittlerweile bin ich fein mit mir und meiner Stimme.“
Wie könnte unsere Arbeitswelt inklusiver gestaltet werden für deine Community?
Leni Bolt: „Na, du hast ja schon die Pride-Flagge im Teams-Hintergrund. Das ist schon ein Start, love it. Solche Kleinigkeiten finde ich wichtig, gerade in der jetzigen Zeit mit diesen Wahlergebnissen.
Interne Netzwerke helfen, man kann Pronomen mit in die E-Mail-Signatur schreiben, sich um eine gendergerechte Toilette kümmern und vor allem Diversity-Themen am Arbeitsplatz besprechen.
Wir müssen reden. Unsere Gesellschaft bewegt sich wieder in eine konservativere Richtung, und das macht mir und anderen queeren Menschen Angst und Sorge. Der Hass gegenüber queeren Menschen wird größer, und am Ende des Tages ist die politische und die gesetzliche Lage für queere Menschen nicht mehr so sicher.
Da hatten wir in den letzten Jahren viele Fortschritte, und mit dem Selbstbestimmungsgesetz kommt noch ein großer Schritt dazu, viele Trans-Menschen haben darauf hingefiebert.
Jetzt ist natürlich die Sorge groß, dass es wieder Rückschritte geben wird. Auch für Frauen. Wenn gewissen Parteien an die Macht kommen, wird es auch gegenüber Frauen Einschnitte geben, zum Beispiel was Abtreibungsgesetze angeht.“
Wie sehr hilft da Sichtbarmachung der Themen? Du hast ja eine eigene Netflix-Serie „Queer Eye“ gehabt.
Leni Bolt: „Medien sind Multiplikatoren und Medien haben so viel Power, verschiedene Lebensentwürfe zu zeigen. Es ist so wichtig, dass man die Diversität der Gesellschaft auch abbildet, ob nun in Zeitungen oder über eine Netflix Show.“
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Was möchtest du als nonbinäre Person heute jungen Frauen mit auf den Weg geben?
Leni Bolt: „Ich kenne beide Welten, sowohl die männliche Welt von damals als auch die Welt jetzt, in der ich als Frau gelesen und wahrgenommen werde. Es ist schon echt krass, wie Frauen sexualisiert werden. Das habe ich als Mann nicht erlebt. Ich fühle mich auch unsicherer nachts zum Beispiel auf der Straße.
Was ich Frauen mit auf den Weg geben möchte: Kleidet euch so, wie ihr Bock habt, tragt Make-up oder nicht, macht die Dinge nicht nur, weil sie Männern gefallen, sondern nur für euch selber. Es wird immer noch ein Bild propagiert, wo viele Frauen einfach nur Druck verspüren, den sie nicht verspüren sollten.“
Du lebst mittlerweile auf Mallorca. Wie lebt es sich in Spanien im Vergleich zu Deutschland?
Leni Bolt: „Die Leute sind offener. Ich habe das Gefühl, die verstehen mehr trans- und nicht-binäre Identitäten. Spanien ist eines der LGBTQ-freundlichsten Länder der Welt. Das inkludiert auch ältere Leute.
Ich war letztens bei einer Drag Queen Bingo-Show in einer Kirche, da sind auch alte Leute hingekommen, die machen das auf dem Dorf alles mit. Das habe ich in Deutschland zum Beispiel noch nie gesehen, dass solche Veranstaltungen auf dem Dorf stattfinden, höchstens in Berlin innerhalb der queeren Szene. Das gibt mir einfach ein schönes Gefühl, das sind meine Gender Euphoria-Momente.“
„Trans-Personen waren Clowns-Personen“
Leni Bolt
Die Auflösung von welchem Glaubenssatz aus deiner Kindheit hat dir später die größte Freiheit geschenkt?
Leni Bolt: „Als ich gemerkt habe, dass ich kein Mann bin, dachte ich: ‚Fuck, ich werde niemals beruflich erfolgreich sein können.‘ Das war so 2014, da war ich 13, 14 Jahre alt. Und ich dachte wirklich, aus mir könnte nichts werden.
Was mache ich mit meinem Leben? Die Frage habe ich mir wirklich gestellt. Denn zu der Zeit waren Trans-Personen eher so Clownspersonen, auch in der Medienwelt. Obwohl ich eine abgeschlossene Modedesign-Ausbildung hatte, war es schwer für mich wegen meines Erscheinungsbildes einen Job zu finden.
Ich habe da in einem Café gearbeitet, das hat mich geschult und mir viel Selbstbewusstsein gegeben. Da hatte ich mit vielen Gästen zu tun, die echt krass böse Kommentare gegeben haben. Ich weiß noch, da hat mir einer Trinkgeld zugeschmissen und gesagt: ‚Hier, für deine Hormone.'“
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Wie hast du reagiert?
Leni Bolt: „Damals war ich noch zu schüchtern, ich habe da nichts gesagt, heute würde ich es ihm zurück geschmissen, sein scheiß Trinkgeld.
Ich sehe das immer wieder, dass queere Menschen sich nicht erlauben, beruflich erfolgreich zu sein, weil sie Angst haben vor Diskriminierung und deswegen lieber irgendwo in einer queeren Bar im Untergrund arbeiten, anstatt das zu machen, was sie richtig gut können und sich damit der Welt da draußen zu öffnen. Und den negativen Glaubenssatz, nicht erfolgreich sein können, habe ich selber gelöst.“
Wenn du dir ein queeres Remake wünschen würdest, welches wäre das?
Leni Bolt: „Titanic! Ein queeres Titanic wäre so geil, mit zwei queeren Hauptcharakteren und Dragshows auf jedem Deck. Ich sehe bunte, schillernde Persönlichkeiten auf einem bunten Pride-Schiff, das wär cool.“
Aber es geht doch dann unter, das bunte Pride-Schiff!
Leni Bolt: „Oh Gott, du hast Recht. Wir müssen das Ende anpassen: Sie schaffen es mit letzter Kraft an den Nordpol und gründen einen neuen queeren, utopischen Staat.“
Da wir schon im Reich der Fantasie sind: Wenn du einen neuen Feiertag erfinden könntest, wie würde der heißen?
Leni Bolt: „Wow. Das ist eine strange Frage… Ich wünsche mir einen Feiertag für die Sichtbarkeit von nonbinären Personen. Es gibt die Pride, aber das ist kein Feiertag, den brauchen wir für die Sichtbarkeit und dann würden wir das groß feiern. Am Bundestag hissen wir die Flagge und streuen Konfetti, natürlich biologisch abbaubares Konfetti, wo dann Blumen aus dem Boden wachsen.“
Wenn der Bundestag später umrandet wäre von Blumen, das stelle ich mir sehr schön vor…
Leni Bolt: „Finde ich auch. Tun wir mal ein bisschen was für die Umwelt.“
Leni Bolt ist Speaker*in auf dem FFF-Day 2024 in Berlin
Wer Leni Bolt live erleben möchte, kann dies am 12. Oktober 2024 in Berlin auf dem FFF-Day von Edition F tun. Alle Infos dazu findet ihr auch hier bei Edition F.
FEMALE FUTURE FORCE DAY 2024
Am 12. Oktober 2024 findet der FEMALE FUTURE FORCE DAY im bcc Berlin statt! Unter dem diesjährigen Motto BRIDGE THE GAP werden die allgegenwärtigen Ungleichheiten in nahezu allen Lebensbereichen adressiert: Es geht um Gender Pay Gap, Gender Health Gap, Gender Care Gap, Gender Data Gap und so vieles mehr.
Die Teilnehmer*innen erwartet ein spannendes, abwechslungsreiches Programm auf mehreren Bühnen und Masterclass-Räumen, aber auch ausreichend Gelegenheit zum Austausch und Netzwerken. -> Zu den Tickets