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Ursula Karven: „Ich will diesen werberelevanten Zielgruppenmist abschaffen!“

Ursula Karven
Ursula Karven: "Die Zielgruppe ab 59 gilt seit Jahren als nicht mehr werberelevant." Credit: Getty Images

Ursula Karven spielte in über 60 Film- und Fernsehproduktionen mit, erfuhr einige Schicksalsschläge, schrieb Bücher („Diese verdammten Ängste“) und ist seit Jahren erfolgreiche Fitness- und Yoga-Expertin mit eigenen Workshops („Selbst Love Weekend“).

Ursula Karven, die gerade erst ihren 61 Geburtstag feierte, steht für eine Generation von Frauen, die sich nicht damit abfinden wollen, dass sie ab einem gewissen Alter für Medien und Werbung „unsichtbar“ werden.

Yvonne Weiß: Ursula, Du weißt oft darauf hin, dass Medien in Deutschland die Lebensrealität von Frauen ab 50 nicht genug und vor allem nicht realistisch abbilden. Warum ist das Deiner Meinung nach so?

Ursula Karven: Wenn man bedenkt, dass vor allem Menschen den Rundfunkbeitrag zahlen, die über 59 sind, dann ist es gerade absurd, wie wir, ich bin ja gerade 61 geworden, dargestellt werden in Filmen und Serien.

Oft werden absurde Konstellationen gezeigt mit Frauenfiguren, mit denen viele in unserem Alter nichts anfangen können. Wir werden nicht gespiegelt, nicht porträtiert, wie wir jetzt sind. Das finde ich dramatisch und wahnsinnig ungerecht.

Das wäre Altersdiskriminierung…

Ja, und ich meine die Wurzel des Übels zu verstehen. Ich glaube, Grund des Problems ist, dass sowohl Frauen als auch Männer ab 59 Jahren nicht mehr als werberelevante Zielgruppe gelten. Das wirkt unbewusst bei den Redaktionen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Obwohl sie uns zur Kasse bitten und behaupten, dass sie Bildungsfernsehen machen, schielen sie nach den Einschaltquoten wie private Anbieter.

Ich glaube und fühle, dass bei vielen Redakteurinnen und Redakteuren mitschwingt, dass man das für die Firmen macht, die Zahnpasta oder Putzmittel verkaufen.
Die Zielgruppe ab 59 gilt seit Jahren als nicht mehr werberelevant. Da sagen sich die Produkthersteller wahrscheinlich: Dann will ich auch niemand sehen, die nicht werberelevant sind, in den Sendungen, zwischen denen ich da werbe. Da schaltet sonst die falsche Zielgruppe ein.

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Meinst Du, dass ist eine offizielle Linie bei den Sendern?

Vieles geschieht unbewusst. Deshalb fordere ich im ersten Schritt: Ich möchte gerne diesen werberelevanten Zielgruppenmist abschaffen. Frauen und Männer ab 59 Jahren sind werberelevant! 85 Prozent aller Kaufentscheidungen kommen übrigens von Frauen.

Die werberelevante Zielgruppe hat Helmut Thoma bei RTL ins Leben gerufen, die wurde ziemlich spontan auf 14 bis 49 Jahre festgelegt. Vielleicht waren bei der Einführung des Privatfernsehens in den 80ern auch die Sechzigjährigen wirklich nicht so beweglich in ihren Kaufentscheidungen und haben nie die Marke der Zahnpasta gewechselt, kann sein.

Das Argument war damals, dass man sich ab 60 quasi nicht mehr umentscheidet und sich nicht für neue Marken interessiert.

Richtig, aber das ist natürlich Unsinn. Ich bin 61 und ich gucke die ganze Zeit, was neu ist. Wir Frauen in unserem Alter, wir gucken, wie wir gut älter werden, vor allem gesund, wie wir uns weiterbilden, wie wir unser Gehirn fit halten und sind dauernd auf der Suche und bereit, neue Dinge auszuprobieren.

Diese Zielgruppeneinteilung trifft einfach nicht mehr zu. Dabei wurde das damals auf die Boomer-Generation, der ich ja angehöre, zugeschnitten. Nur: Diese Zielgruppe ist jetzt über 60. Und diese Zielgruppe wird ausgeklammert, und das finde ich nicht gut.

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Dabei zahlt diese Gruppe einen großen Anteil am Rundfunkbeitrag.

Es sind Milliarden. Genau genommen 2,6 Milliarden EUR. Denn die Zielgruppe der über 59 Jährigen beträgt 30% der Bevölkerung.  Diese zahlen auch den Beitrag pro Haushalt 220 Euro pro Jahr.

Und dann werden sie in den Programmen und Mediatheken sozusagen ausgeklammert.
Wir sind aus der werberelevanten Zielgruppe ausgeschlossen, obwohl wir sehr wohl nach neuen, besseren Produkten schauen. Ich bin jederzeit dazu bereit, mich neu zu erfinden und meine Produktwelt um mich herum neu zu entdecken. Deshalb gehört diese Aufteilung in Altersgruppen abgeschafft.

Du hast bereits zwei Mal gezeigt, wie man eine solche gesellschaftliche Veränderung anstoßen kann. Einmal kam sogar eine Gesetzesänderung dabei raus. Wie kann das gelingen?

Es ist vor allem sehr viel Arbeit, die man nur aus seiner Zivilcourage heraus leistet. Man braucht sehr viel Zeit. Ich habe meine Fühler schon ausgestreckt. Das Ganze muss rechtlich stimmen, die Zahlen müssen korrekt sein. Du musst viel Basisarbeit leisten, bis so eine Sache durchstarten kann.

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Es ist Dir beim Gewalthilfegesetz gelungen.

Das waren wir zusammen im Verbund mit sehr vielen Frauen und Organisationen. Bei der Petition gegen Mobbing, Gewalt und sexuelle Belästigung waren Frauen100 und ich maßgeblich dabei, darauf bin ich stolz.

Das haben wir durchgeboxt im Bundestag. Es war wahnsinnig viel Arbeit und am Schluss saß ich tatsächlich alleine in den Rängen, wie sie es vorgelesen haben. Außer Frau Lambrecht und Frau Bas war niemand da. Ich lebe ja nicht nur für meine Generation, sondern vor allem auch für nachkommenden Generationen.

Würde es etwas ändern, wenn in den Redaktionen mehr Frauen in Führungspositionen säßen?

Vielleicht, allerdings schielen tatsächlich alle auf die Quoten und Altersgruppen. Es ist ein einfaches Spiel. Es war schon immer so. Mein letzter Film mit Michael Gwisdek hatte wahnsinnig hohe Einschaltquoten. Trotzdem wurde die Fortsetzung abgesagt, weil die Menschen zu alt waren fürs ZDF. Millionen von Zuschauern, aber zu alt. Leute, da stimmt was nicht. Das System stimmt nicht, und es kann auch nicht so weiter funktionieren, wenn wir es nicht ändern.

Zumal der Anteil der Älteren an der Bevölkerung zunimmt.

Und die Kinder gucken ja oft gar kein lineares Fernsehen. Viele, die noch linear gucken, sind die aus unserer Zielgruppe. Die sehnen sich nach den bekannten, gleichaltrigen Gesichtern. Die dürfen sie aber nicht sehen, weil die Redakteur*innen und wahrscheinlich auch die Werbepartner sagen: Nee Leute, also das ist uns wirklich zu alt. Es nutzt uns nichts, wenn die Alten einschalten. Und die Alten sind wir.

In ARD- und ZDF-Filmen tauchen ja durchaus ältere Frauen auf.

Seltsamerweise werden ältere Frauen von 45-Jährigen gespielt. Das finde ich ungerecht. Das System muss in seinen Grundlagen verändert werden.

Müsste sich generell die Einstellung zum Älterwerden ändern?

Ich kann nicht für andere sprechen. Offensichtlich gibt es viele, die nicht genug drüber nachdenken, weil sie entweder jünger sind oder weil sie sich nicht ärgern, wenn sie nicht mehr werberelevant sind. Ich ärgere mich.

Ich bin ein fleißiger Konsument. Ich liebe alles Neue und Gesunde. Ich verfüge über Ressourcen, so wie ja viele in meiner Altersgruppe. Wir sind die im Land, die Wachstum erlebt haben, goldene Zeiten. Jetzt bin ich einfach genervt davon, wie wir ausgemustert werden aus einem System. Wie die Lämmer sitzen wir da und sind schon zufrieden, wenn da eine Zielgruppe von 49 auf 59 angehoben wird.

Du meinst, die Zielgruppen-Definition müsste sich ganz vom Alter lösen?

Kein Unternehmen kann heute noch die Geschäfte nach den Grundsätzen aus den Neunzigern führen. Keine Firma wäre da erfolgreich. Nur die Fernsehsender haben sich das noch so erhalten und die Industrie, die ihr folgt. Eine muss es mal sagen und zwar wahrscheinlich auch eine, die keine Angst hat, um irgendwelche werbeabhängigen Jobs.

Damit sind beim Motto des FFF Days: Be Bold. Was empfindest du heutzutage als mutig?

Jeder hat seinen eigenen Mut. Für jeden ist das Verlassen der Komfortzone anders. Und jedes Verlassen der Komfortzone braucht in jedem Fall Mut. Ich gehe eben mit der Message raus: Leute, das stimmt einfach nicht im Kern und ich hab keine Lust ausgemustert zu werden, nur weil ich 61 bin. Das ist mein Verlassen meiner Komfortzone.

Gab es Dinge, die dich im Leben mutiger gemacht haben?

Unabhängigkeit ist das A und O. Es erfordert Mut, sich unabhängig zu machen, aber es macht dich frei. Ich bin heute sehr unabhängig. Und mutig gemacht hat mich auch die Wut, die entstanden ist, als ich immer wieder gelesen habe, dass mir per Alter etwas aberkannt wird. Etwas, wofür ich sogar Geld zahle, meine Repräsentanz in den Medien.

Abgesehen von der fehlenden Repräsentanz von älteren Frauen: Wie nimmst Du sonst Frauenfiguren wahr in Filmen und Serien?

Frauen werden immer bewertet, egal ob in ihren Rollen oder vom Publikum. Das ist ein ständiges Abschätzen. Und zwar nicht nur durch Männer, sondern auch durch uns selbst. Es wäre schön, wenn wir uns das abgewöhnen könnten. Ich sehe keine Fortschritte. Ich finde sogar, wir waren da schon sehr viel weiter als wir es jetzt sind.

Wann waren wir denn weiter?

Ich habe das Gefühl, dass wir in den Achtzigern freier waren. Das ist aber nur mein Gefühl, da war ich jung, es gab diese neu gefundene Feminität. Frauen durften auf einmal etwas. Es war eine Zeit, in der Grenzen fielen. Frauen haben sich neu erfunden.

Ich finde, dass wir durch die sozialen Medien in eine größere Bewertung zurückgefallen sind. Ich schaue zurück auf die Freiheit, die ich empfunden habe, als ich jung war. Und dann schaue ich auf junge Frauen und sehe diese Freiheit oft nicht. Wir konnten auch mal danebengreifen, es wurde nicht alles bis in die kleinsten Winkel verboten oder kritisiert. Ich finde es heute schwierig für die junge Generation.

Lag es daran, dass die Achtziger anders waren oder lag es an den fehlenden sozialen Medien?

Ich weiß es nicht, wahrscheinlich wäre ich auch in die Social-Media-Falle getappt, wäre ich heute jung. Ich nutze das ja heute intensiv – und zu meinen Bedingungen. Damals gab es ein Gefühl der Befreiung. Wir waren alle wie in einem Firmenclub, dem Club der Frauen, ohne überhaupt zu wissen, dass es ein Club ist. Es war eine Freiheit, die wir uns genommen haben. Und wir waren so viele, dass die Männer nichts dagegen tun konnten.

Aber das ist die Vergangenheit. Ich möchte mich auf die Zeit jetzt konzentrieren – die Tatsache, dass dieses vergangene System noch mitregiert. Das würde ich gerne abstellen und ich denke am besten macht man das mit einer Petition. Da brauch ich noch Mitkämpferinnen. Es ist viel Arbeit. Also los geht’s!

Woher kommt Deine Energie?

Durch das ständige Verlassen der Komfortzone. Die Komfortzone, das ist dein Nervensystem, das sich alles gemerkt hat seit 3 Monaten vor deiner Geburt. Bis jetzt. Bei jeder noch so kleinen oder großen Entscheidung schickt Dir dein Nervensystem diese panikartigen Ängste. 

Jedes Mal, wenn man eine panikartige Angst verspürt und es trotzdem macht, verlässt man die Komfortzone. Das mache ich sicherlich oft und so intensiv, dass mein Nervensystem in eine andere Form übergegangen ist. Mich bringt kaum mehr was zum Zittern.

Auch nicht Donald Trump?

Ich meinte das für meine eigene Welt, meinen Alltag. Aber was draußen passiert, das kann ich oft nicht verkraften, wie wohl so viele. Deshalb ziehe ich mich hier oft bewusst zurück. Ich lese die Schlagzeilen, gehe aber oft nicht in die Tiefe. Ich gucke keine Videos, es lässt mich nicht schlafen. Ich lasse es mir manchmal erzählen, von meinen Kindern oder von meinem Mann. Ich habe den Nachrichten abgeschworen, weil ich es nicht aushalte. Das ist meine Art, mich zu schützen.

Ursula Karven ist Speakerin beim FFF DAY!

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