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Hochsensible Kinder: Was Eltern wissen sollten und warum es wichtig ist, genau hinzusehen

Mädchen liegt auf dem Fußboden, hat die Augen geschlossen und trägt On-ear-Kopfhörer.
Erfahre Anzeichen, Besonderheiten und wie Eltern ihrem hochsensiblen Kind im Alltag helfen. Credit: Getty Images/ Westend61

Dein Kind ist besonders feinfühlig, schnell überreizt und reagiert stark auf Stimmungen? Erfahre hier, was Hochsensibilität bedeutet, wie du sie erkennst und wie Eltern hochsensible Kinder im Alltag optimal unterstützen.

Was bedeutet Hochsensibilität?

Ein Kind, das nach einem normalen Schultag völlig erschöpft nach Hause kommt und schon bei kleinsten Geräuschen die Fassung verliert. Ein anderes, das nicht einschlafen kann, weil ihm der Streit der Freunde so nahe geht, als sei es selbst beteiligt gewesen.

Oder eines, das bestimmte Klamotten nicht tragen möchte, weil die sich unerträglich anfühlen. All das sind Situationen, die für Außenstehende übertrieben wirken können, für hochsensible Kinder aber Alltag sind.

Hochsensibilität, so schätzt es die US-amerikanische Psychologin Elaine Aron, auf die der Begriff zurückgeht, betrifft etwa 15–20 Prozent aller Menschen. Also keine kleine Randgruppe, sondern einen erheblichen Teil der Bevölkerung.

Hochsensibilität ist keine Krankheit

Ein hochsensibles Kind ist nicht krank oder leidet an einer Störung. Es hat lediglich eine besondere Persönlichkeitsausprägung. Hochsensible Kinder nehmen Reize wie Geräusche, Gerüche, Stimmungen oder Körperempfindungen besonders intensiv wahr und verarbeiten sie tiefgehender. Konkret bedeutet das, dass:

  • sie Dinge bemerken, die andere übersehen,
  • emotional oft stärker reagieren und mehr Zeit brauchen, Erlebnisse zu verarbeiten,
  • sehr empathisch sind und spüren, wenn es jemandem schlecht geht.

Diese besondere Wahrnehmung kann eine große Stärke sein, bringt aber auch Herausforderungen mit sich. Vor allem in einer Welt, die laut, schnell und oft reizüberflutend ist.

Wann und wie zeigt sich Hochsensibilität bei Kindern?

Manche Eltern merken schon im Babyalter, dass ihr Kind ‚anders‘ reagiert: Es schreckt leichter auf, ist unruhiger bei Besuch oder braucht länger, um sich an neue Umgebungen zu gewöhnen. Spätestens im Kindergarten oder in der Schule wird die besondere Sensibilität deutlich.

Typische Anzeichen für Hochsensibilität

  • Überreizung: in lauten oder hektischen Situationen (volles Klassenzimmer, Geburtstagspartys, Konzerte)
  • Starke Emotionen: bei vermeintlichen Kleinigkeiten, Veränderungen oder Konflikten
  • Körperliche Empfindlichkeit: kratzige Kleidung, helles Licht oder laute Geräusche, die das Kind schwer aushalten kann
  • Große Empathie: Das Kind leidet regelrecht mit, wenn andere weinen oder traurig sind.
  • Perfektionismus: Schon kleine Fehler können zu Frust oder Selbstkritik führen.

Wichtig: Nicht jedes hochsensible Kind zeigt all diese Merkmale. Entscheidend ist die Kombination und die Intensität. Eltern berichten oft, dass ihr Kind schneller an Grenzen kommt, aber auch erstaunlich tiefgründige Fragen stellt und sehr bewusst lebt.

Kann man Hochsensibilität diagnostizieren?

Nein, Ärzt*innen können eine Hochsensibilität nicht nach einem medizinischen Klassifikationssystem diagnostizieren, anders als zum Beispiel ADHS oder eine Angststörung.

Was es allerdings gibt:

  • Fragebögen (z. B. die ‚Highly Sensitive Person Scale‘ nach Elaine Aron), die Hinweise darauf geben, ob jemand hochsensibel ist. Sie sind hilfreich für die Orientierung, aber keine standardisierten Tests. Was auch daran liegt, dass jeder Mensch zu einem gewissen Grad sensibel ist. Es lassen sich aber keine scharfen Trennlinien zwischen ’normal‘ sensibel und hochsensibel ziehen.
  • Professionelle Abklärung: Eltern, die unsicher sind, ob ihr Kind ’nur‘ hochsensibel ist oder ob auch andere Themen wie ADHS oder Autismus eine Rolle spielen könnten, sollten eine kinderärztliche oder psychologische Beratung in Betracht ziehen.

Für den Alltag gilt deshalb ein pragmatischer Ansatz: Wenn ein Kind viele ‚typische‘ Merkmale zeigt und es ihm hilft, wenn man sein Umfeld anpasst, dann ist das für die Familie eine nützliche Orientierung, unabhängig von ‚offiziellen Diagnosen‘.

Wie können Eltern ein hochsensibles Kind unterstützen?

Hochsensible Kinder erleben die Welt viel intensiver, alles ist lauter, stärker und schnell überfordernd. Deshalb brauchen diese Kinder mehr Rückzug, Verständnis und Struktur.

Wichtig sind deshalb Routinen, die Sicherheit vermitteln. Feste Abläufe können dabei helfen, Reize gering zu halten und so eine Überforderung verhindern.

Besonders sensible Kinder brauchen viele Pausen, in denen sie Zeit für sich haben. Nach der Schule, dem Sport oder anderen Hobbys sollten sie die Möglichkeit haben, alleine zu sein oder alleine zu spielen.

Von außen betrachtet können die Gefühle eines hochsensiblen Kindes schnell als übertrieben verstanden werden. Für das Kind selbst sind sie aber ganz real. Zuhören und Gefühle anerkennen ist das beste, was Eltern tun können.

Generell hilft es, die Umgebung eines hochsensiblen Kindes so reizarm wie möglich zu gestalten. Kleidung ohne kratzige Materialien, ein ruhiger Arbeitsplatz und wenig parallele Aktivitäten. So kann man seine Stärken fördern und schränkt es nicht ein. Eltern müssen nicht das ganze Leben umkrempeln. Kleine Anpassungen machen schon einen großen Unterschied. Und das Kind fühlt sich verstanden.

Was passiert, wenn Hochsensibilität übersehen wird?

Leben Kinder dauerhaft in einer Umgebung, die ihre Besonderheiten ignoriert, kann das Folgen haben:

  • Stress und Überforderung: Das Kind steht andauernd unter Strom und wirkt schnell erschöpft und gereizt
  • Geringes Selbstwertgefühl: Wenn es immer wieder hört, es sei ‚zu empfindlich‘ oder übertreibe, zweifelt es an sich selbst.
  • Angst und Rückzug: Manche Kinder meiden bestimmte Situationen, weil sie dort immer wieder überfordert sind.
  • Spannungen in der Familie: Missverständnisse führen leicht zu Konflikten, die wiederum den Stress verstärken.

Erkennen Eltern die Sensibilität ihres Kindes an, stärkt das das Kind und seine Beziehung zu den Eltern. Hochsensible Kinder sind keine ‚Problemkinder‘. Sie erleben die Welt intensiver und das kann im Alltag sehr anstrengend sein, aber auch eine große Stärke.

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