Eigentlich muss ich mich nicht mehr wirklich um meine Kinder kümmern. Sie sind mittlerweile groß und alt genug, sich selbst zu beschäftigen. Und doch höre ich ihn hin und wieder noch, den wohl nervigsten Satz, den Eltern zu hören bekommen können: „Mamaaaa, mir ist soooo langweilig!“ Kein Spiel scheint interessant, kein Buch spannend, keine Idee gut genug. Und während ich kurz mit den Augen rolle (natürlich nur innerlich), frage ich mich wie so oft: Was steckt eigentlich dahinter, wenn Kinder sich so leidenschaftlich über Langeweile beschweren?
Ich habe das Thema nicht nur als Mutter von zwei Kindern zigmal durchlebt, sondern mich auch beruflich damit beschäftigt und festgestellt: Langeweile ist viel mehr als ein leerer Moment. Sie ist ein Spiegel unserer Zeit und manchmal auch ein versteckter Hilferuf.
Lies auch: Erziehungsfehler? Warum zu viel Beschäftigung deinem Kind schadet
Ist „Mir ist langweilig“ ein Symptom unserer durchgetakteten Welt?
Langeweile ist erst einmal nichts Schlechtes. Tatsächlich ist sie ein ganz normales Gefühl, das entsteht, wenn äußere Reize fehlen und unser Gehirn beginnt, sich nach neuen Impulsen umzusehen. Bei Kindern ist dieses Gefühl oft besonders intensiv. Warum? Weil ihr Gehirn noch in der Entwicklung ist, Reize stärker verarbeitet und weil Kinder noch lernen müssen, was sie mit dieser inneren Leere anfangen sollen.
Allerdings ist es heute fast unmöglich, sich dieser Leere hinzugeben. Alles ist durchgetaktet, strukturiert, geplant. Selbst Freizeit wird oft „bespielt“: Fußballtraining, Reiten, Musikunterricht, Spielverabredung, Kindergeburtstag. Was fehlt, ist der Raum für echte Leere und damit auch die Fähigkeit, Langeweile auszuhalten. Und jetzt, in den Ferien, zeigt sich das besonders. Keine Sportkurse, wenig Freund*innen zu Hause, da weiß so manches Kind gar nicht, was es den lieben langen Tag machen soll.
Kinder, die aktuell also regelmäßig rufen „Mir ist langweilig“, haben nicht Nichts zu tun. Sondern sie wissen nicht, wie sie sich selbst beschäftigen können.
Was alles hinter dem Satz stecken kann
Wenn dein Kind zurzeit vermehrt über Langeweile klagt, lohnt es sich, genauer hinzuhören. Denn nicht selten steckt mehr dahinter als ein Mangel an Spielideen. Hier einige häufige Gründe und was sie bedeuten:
1. Unterforderung und Reizüberflutung gleichzeitig
Klingt widersprüchlich, kommt aber oft vor. Kinder sind heute ständig Reizen ausgesetzt über Medien, Spielzeug, Lärm und Termine. Gleichzeitig fehlen oft Gelegenheiten, kreativ zu werden, sich zu vertiefen und Langeweile produktiv zu nutzen. Das Gehirn verlangt dann in langweiligen Momenten nach etwas, kann es aber nicht selbst erzeugen.
Was hilft? Weniger ist mehr. Freie, unstrukturierte Zeit fördert Kreativität. Ein bisschen ‚Nichtstun‘ muss geübt werden, wie ein Muskel, der wachsen darf.
2. Ein versteckter Ruf nach Aufmerksamkeit
„Mir ist langweilig“ kann auch bedeuten: Ich möchte gesehen werden. Gerade wenn Kinder diesen Satz gezielt sagen, während wir Eltern mit etwas anderem beschäftigt sind (z. B. Haushalt, Arbeit, Gespräche), steckt manchmal der Wunsch dahinter, Aufmerksamkeit zu bekommen, ohne das direkt zu sagen.
Was hilft? Kurz innehalten, den Blickkontakt suchen und zuhören. Vielleicht braucht dein Kind einfach einen Moment Nähe, bevor es sich wieder eigenständig beschäftigen kann.
Sehr interessant: Warum geduldige Kinder später erfolgreicher sind
3. Überforderung mit freier Zeit
Wenn Kinder es nicht gewohnt sind, ihre Zeit selbst zu gestalten, etwa weil der Alltag sehr stark durch Erwachsene vorgeplant ist, wissen sie oft nicht, was sie mit freier Zeit anfangen sollen. Sie sind dann schlichtweg überfordert mit der eigenen Autonomie.
Was hilft? Struktur schaffen, aber mit Freiraum. Das heißt, dass man dem Kind nicht einfach nur sagt, es solle etwas spielen, sondern konkretere Vorschläge macht, wie „Hast du Lust, etwas zu malen oder ein Hörbuch zu hören?“ Kinder brauchen manchmal einen kleinen Impuls, um in den Flow zu kommen.
4. Emotionale Unruhe oder innere Konflikte
Auch seelische Belastungen äußern sich bei Kindern manchmal in Form von Langeweile. Wenn Kinder unausgesprochene Sorgen, Ängste oder Frust mit sich herumtragen, können sie diese oft nicht konkret benennen, sondern reagieren mit Rückzug, Reizbarkeit oder eben Langeweile.
Was hilft? Eine ruhige Atmosphäre, in der über Gefühle gesprochen werden darf. Fragen wie „Wie fühlst du dich heute?“ oder „Gibt’s gerade was, das dir Sorgen macht?“ können Türen öffnen.
Lesetipp: Diese Sätze sagen Kinder, wenn sie sich allein oder überfordert fühlen
Warum Langeweile wichtig und wertvoll ist
Viele Eltern fühlen sich beim Thema Langeweile sofort in der Pflicht, etwas zu tun. Dabei ist Langeweile nicht nur ungefährlich, sie ist sogar gesund. Zahlreiche Studien belegen, dass Langeweile Kreativität fördert, Problemlösungsfähigkeiten stärkt und emotionale Resilienz aufbaut.
Ein Kind, das lernt, mit Langeweile umzugehen, lernt im Grunde, mit sich selbst klarzukommen. Es entdeckt eigene Interessen, trainiert Selbstwirksamkeit und wird unabhängiger von äußeren Reizen. Genau das, was wir uns doch alle für unsere Kinder wünschen, oder?
Lies auch: Ein Hoch auf die Langeweile! So wichtig ist Nichtstun in den Ferien
Was kann man tun, ohne Animateur*in zu werden?
Natürlich ist es leichter gesagt als getan, ein Kind einfach mal Langeweile aushalten zu lassen. Der Impuls, schnell eine Lösung zu liefern, ist groß. Aber: Es geht nicht darum, Kinder bewusst zu frustrieren, sondern sie zu begleiten. Hier ein paar konkrete Tipps:
1. Langeweile benennen und normalisieren
Sag ruhig mal: „Langeweile ist okay. Ich kenne das auch. Manchmal kommt dann ganz von allein eine gute Idee.“ So lernt dein Kind, dass dieses Gefühl nicht bedrohlich ist, sondern dazugehört.
2. Ideen anbieten statt Programm machen
Erstelle mit deinem Kind eine ‚Langeweile-Liste‘: Dinge, die es gern tut, wenn es nicht weiß, was es tun soll. Basteln, Lego bauen, tanzen, eine Kissenschlacht, Hörbuch hören… Dein Kind kann selbst entscheiden, was passt.
3. Zugang zu kreativen Materialien erleichtern
Bastelmaterial, alte Kartons, Bücher, Puzzle, das alles regt zum Tun an, ohne vorzuschreiben, wie es benutzt werden muss. Je weniger durchdesignt das Spielzeug, desto mehr Raum für eigene Ideen.
4. Auch mal Nein sagen
Es ist absolut in Ordnung, deinem Kind zu sagen: „Ich bin gerade beschäftigt, du findest sicher etwas, das du machen kannst.“ Damit stärkst du nicht nur seine Selbstständigkeit, sondern zeigst auch: Nicht jede Leere muss sofort gefüllt werden.
Lies dazu auch: Elternfrage: Sollte man mit seinem Kind spielen, auch wenn man keine Lust hat?
Und was ist mit Medien?
Digitales darf natürlich auch mal sein, aber nicht als Standardlösung gegen Langeweile. Studien zeigen, dass Kinder, die zu viel Zeit vor Bildschirmen verbringen, weniger fantasievoll spielen und Schwierigkeiten haben, sich allein zu beschäftigen.
Mein Tipp: Nutze Medien bewusst. Ein schöner Film am Nachmittag kann völlig okay sein, aber eben als Highlight, nicht in Dauerschleife. Und idealerweise folgt danach etwas Analoges: Malen, Basteln, Spielen.

Angesichts globaler Krisen, gefährlicher Social-Media-Dynamiken, pandemischer Einschnitte, Fachkräftemangels im Bildungsbereich und alarmierender psychischer Belastungen junger Menschen stellt sich die Frage: Was brauchen Kinder und Jugendliche, um sich selbst, ihrem Umfeld und der Umwelt in Zukunft Sorge tragen zu können?
Dazu diskutieren beim diesjährigen FFF Day in Berlin:
-> Emulution, Grundschullehrer und Content Creator
-> Margret Rasfeld, Expertin für Zukunftsbildung & Vernetzerin von Ideen und Menschen
-> Jotam Felmy, Lehrer an einer Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe in Berlin
-> Hanna Hecht, International Officer der Bundesschülerkonferenz
-> Carlotta Richter, Journalistin
-> Hier findest du alle Infos zum FFF Day!
Weitere Themen:
- Erziehungsfalle: Wie Eltern unbewusst die Bindung zu ihrem Kind schwächen
- Erziehung in der Pubertät: Typische Elternsätze, die Teenager verletzen
- Erziehung: Wenn das Smartphone wichtiger ist als du – wie du dein Kind wieder erreichst
- Seelische Verletzungen: Diese Erziehungsfehler verzeihen Kinder ihren Eltern nicht